E-Health: Chancen und Risiken – und der österreichische Spezialfall ELGA

Die ärztliche Kunst, so wie ich sie verstehen, basiert auf vier Es: Erfahrung, Empathie, Evidenzbasierung und dem Einsatz neuer Entwicklungen der modernen Medizin. Dazu kommt seit einiger Zeit als fünftes E E-Health. E-Health ist natürlich viel mehr als nur ein Konzept wie die Elektronische Gesundheitsakte ELGA, die seit einiger Zeit nicht nur vielen Ärzten, Patienten und Datenschützern Kopfzerbrechen bereitet. Doch dazu später.

Es gibt viele Definitionen von E-Health, die unterschiedlich weit gefasst sind, doch verlieren wir uns nicht in Spitzfindigkeiten. Der Begriff bezeichnet generell den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien bei gesundheitsbezogenen Produkten. Drei Gesichtspunkte erscheinen mir besonders wichtig, und auf sie will ich in den folgenden Minuten Schwerpunkt-mäßig eingehen:

1. Telemedizin und Online-Überwachung: E-Health ohne Ärzte geht nicht; 2. Online Gesundheitsinformationen: Arzt-Patientengespräch wichtiger denn je;und 3. ELGA. Die Analyse einer gescheiterten Illusion

 1. Telemedizin und Online-Überwachung: E-Health ohne Ärzte geht nicht

Beginnen wir mit der Telemedizin und Online- bzw. Fernüberwachung von Patienten. Die telemedizinischen Seiten von E-Health sind ein besonders gut geeignetes Beispiel dafür, dass E-Health nur dann sinnvoll zum Wohle der Patienten eingesetzt werden kann, wenn ein kompetenter Arzt maßgeblich eingebunden ist. Telemedizin in Kombination mit einem Mediziner kann die überforderten und teuren Spitäler entlasten – was immerhin ein erklärtes Ziel der österreichischen Gesundheitspolitik ist. Das geht aber nur, wenn der niedergelassene Bereich entsprechend aufgewertet und gestärkt wird. Und nicht, wie in den vergangenen Jahren, systematisch ausgehungert wird. Eine „Medizin ohne Ärzte“ kann nicht funktionieren, weder mit noch ohne E-Health – auch wenn man zunehmend den Eindruck gewinnt, dass bestimmte Gesundheitspolitiker- und -verwalter manchmal mit diesem Gedanken spielen.

Beispiele dafür, wie telemedizinische Anwendungen die Gesundheit und Versorgung verbessern könnten, gibt es viele, ich greife exemplarisch einige auf:

  • Telemedizinische Bewegungsprogramme können Patienten nach einem Spitals- oder Reha-Aufenthalt zum richtigen Trainieren motivieren, und gleichzeitig die behandelnden Ärzte über die Vitalparameter der Patienten auf dem Laufenden halten.
  • Es gibt E-Health-Konzepte, bei denen bei Schlaganfall-Verdacht und Einlieferung eines patienten in ein Krankenhaus ohne Neurologen ein solcher per Videokonferenz beigezogen wird. So wird Spezial-Expertise dorthin gebracht, wo es sie nicht gibt, z. B. in ländliche Regionen.
  • Eine österreichische Telemedizin-Studie soll die Betreuung von Patienten mit Herzinsuffizienz verbessern. Die automatische Online-Überwachung individueller Grenzwerte führt bei Über- oder Unterschreitung zu einer Meldung an den betreuenden Arzt per E-Mail oder SMS.
  • Telemedizin optimiert auch die Nachkontrolle implantierter Herzgeräte. Patienten ersparen sich damit die regelmäßige Anreise zur Geräte-Kontrolle in eine Ambulanz samt Wartezeit.

Im Idealfall könnte es also mittels Telemedizin gelingen, Routinekontrollen im Spital zu reduzieren und Patienten nur dann zu hospitalisieren, wenn es medizinisch geboten ist. Solche Modelle erfordern die aktive Einbindung von Ärzten. Wo immer möglich und sinnvoll, sollten das niedergelassene Mediziner sein.

Natürlich haben solche Modelle ihre Grenzen: Dort, wo ein Mediziner mit seiner Expertise, seiner Erfahrung und seinen fünf Sinnen mit einem Patienten in Kontakt treten muss.

Die Frage, wer diese Formen von Telemedizin bezahlen soll, lässt sich leicht beantworten. Wird Telemedizin vernünftig in einem integrierten System eingesetzt, das die niedergelassenen Ärzte stärker berücksichtigt, werden die teuren Spitäler entlastet und enorme Kosten gespart. Außerdem können Verschlechterungen der Krankheit früher entdeckt und behandelt werden. Allerdings brauchen wir dafür im niedergelassenen Bereich ausreichend Zeit und entsprechende Verrechnungspositionen. Der Status quo gehört im Interesse der Patienten, aber auch des Versorgungsystems insgesamt, geändert. Auch in der Telemedizin kann der niedergelassene Arzt sehr oft der „Best point of service“ sein.

 2. Online-Gesundheitsinformationen: Arzt-Patient-Gespräch wichtiger denn je

Ein zunehmend wichtiger Bereich von E-Health sind einerseits Gesundheitsinformationen aus dem Internet generell, andererseits M-Health (Mobile Health). Letzteres beschreibt die zahllosen Apps zum Beispiel aus dem Fitness- und Ernährungsbereich. Andere informieren über Symptome, Krankheiten und Therapien, etc. Laut Schätzungen, berichtet die deutsche „Ärzte Zeitung“, werden Ende 2014 bereits 45 Prozent der Deutschen ihre privaten Smartphones und Tablets für digitale Gesundheitsangebote verwenden. Es ist also ein boomender Markt, allerdings einer mit volatiler Produkt- und Informationsqualität, der die Digitalisierung des Gesundheitsbereichs von der Verbraucherseite her vorantreibt. Aus Angeboten wie Gesundheitsportalen, Apps, Fitness-Tools und Vitaldaten-Monitoring entsteht sukzessive ein vernetztes System unterschiedlicher Module.

Qualitätskontrolle wird also immer wichtiger. Die Ärztekammer bietet, damit sich Patienten seriös informieren können, inzwischen eine Vielzahl solcher Serviceleistungen an.

Die generelle Empfehlung für User: Die jeweilige Website oder App sollte von einer anerkannten und seriösen Institution kommen. Ist der Inhalt allzu werblich, ist Vorsicht geboten. Und die Empfehlungen sollten zum Arztbesuch ermutigen, nicht diesen ersetzen wollen. Das Risiko liegt hier in verschleppten Diagnosen und Therapien, und falschen Empfehlungen. Gerade angesichts der mobilen Info-Flut bleibt die Einordnung durch den Arzt unumgänglich und das Arzt-Patient-Gespräch wichtiger denn je.

Die Kosten solcher Angebote fallen derzeit nicht besonders ins Gewicht.

3. ELGA: Die Analyse einer gescheiterten Illusion

Bei der Gesundheitsdatenbank ELGA ist das, wie man weiß, anders. Werfen wir ein paar Blicke zurück.

Die Ziele der ELGA laut Parlamentsbeschluss und ELGA-Gesetz klingen zunächst einleuchtend: Fraglich ist allerdings, ob ELGA geeignet ist, um diese Ziele zu erreichen. Außerdem erscheint ELGA noch immer als unfertiges Konzept mit ungelösten Problemen.

Stichwort e-Medikation und Interaktionsprüfung: So war die Erprobung der e-Medikation, eines der vier Kernelemente von ELGA, ein Flop. Das Pilotprojekt lief schlecht, hat große Teilen der Ärzteschaft befremdet und den ELGA-Machern harsche Kritik durch den Rechnungshof eingetragen. Zu einem Umdenken bei den ELGA-Machern hat das alles nicht geführt. Mit der Funktion „Interaktionsprüfung“ innerhalb der e-Medikation sollten Medikationsfehler eliminiert und die Patientensicherheit erhöht werden. Automatisierte Überprüfungen von Wechselwirkungen sind allerdings medizinisch umstritten. Warnungen und Kritik wurden aber nicht ernst genommen. Man testete ein Programm, das sich schon 2007 als ungeeignet erwiesen hatte – den „Salzburger Arzneimittelsicherheitsgurt -, u.a. auch deshalb, weil sich Patienten durch zahllose und meistens irrelevante Meldungen von Interaktionen verunsichert fühlten. Sieben Jahre und 4 Millionen Euro später musste die ELGA-GmbH das anerkennen. Die Funktionalität „Interaktionsprüfung“ wurde aus ELGA gestrichen, und diese Aufgabe sollen jetzt wieder die Ärzte übernehmen. Das hätte man billiger haben können.

Stichwort „Befundvollständigkeit“: Durch umfassende Befunddokumentation sollen Doppel-Untersuchungen und -verordnungen vermieden werden und mehr Patientensicherheit entstehen. Wer mit elektronischen Patientenakten gearbeitet hat, weiß, dass durch diese nicht grundsätzlich mehr Übersicht geschaffen wird. Werden die Befunde und Verordnungen nicht ordentlich aufgearbeitet, entsteht Chaos. Man stelle sich langjährige chronisch Kranke mit ihren zahllosen Befunden vor: Diese Primärdokumente liegen heute auf Tausenden von Rechnern in unterschiedlichen Formaten und überwiegend nicht standardisiert vor. Wie soll ELGA hier eine praktisch brauchbare Lesbarkeit herstellen? Wahrscheinlich ist, dass die Dokumente zeitraubend geöffnete und gesichtet werden müssen und dass es dem Zufall überlassen bleibt, ob ein Arzt genau jene Befunde findet, die er sucht. So kann sich die Hoffnung auf Befundvollständigkeit als Illusion erweisen und die Zahl der Doppeluntersuchungen wird nicht kleiner. Dazu kommt, dass durch die Sperrmöglichkeit der Patienten von einzelnen Dokumenten in ELGA der medizinische Nutzen noch weiter eingeschränkt ist.

Ein „Datenfriedhof“ ohne schnelle und zuverlässige Suchfunktion ist für Ärzte unbrauchbar und haftungsrechtlich problematisch.

Stichwort Datensicherheit. Nach allem, was man bislang weiß, werden die medizinischen Dokumente mit Ausnahme der e-Medikation dezentral gespeichert. Von den zahllosen Praxis- und Spitalsservern findet eine Verlinkung in gut gesicherte regionale ELGA-Bereiche, so genannte „Affinity Domains“ statt, die wiederum mit den zentralen ELGA-Komponenten (zentraler Patientenindex, Gesundheitsdiensteanbieter-Index, Berechtigungssystem, Protokollierungssystem und Portal) verbunden sind. Aus diesen „Affinity Domains“ können die Patientendaten rund um die Uhr von autorisierten Personen abgerufen werden. Wer diese „Affinity Domains“ betreiben wird, und wer unter welchen Umständen noch Zugriff auf diese Daten hat, ist noch Teil der Diskussion.

Eines muss aber jedem klar sein: Cluster-Daten sind für viele Interessenten hoch attraktiv, und die vielen Datenskandale der jüngsten Vergangenheit zeigen: Einen zuverlässigen Schutz für sensible Gesundheitsdaten vor Datenklau und Datenverkauf gibt es nicht.

Stichwort Kosten: Was ELGA letztlich kosten wird und welche Folgekosten ELGA erzeugen wird, ist nach Experteneinschätzung völlig unklar. ELGA will mit 130 Millionen Euro Einführungsfinanzierung starten und dann pro Jahr Kosten von 17 Millionen aufwerfen. Schaut man sich allerdings die Kosten der Wiener Gebietskrankenkasse für ein neues Abrechnungssystem für rund 2.000 Vertragsärzte an, die immerhin 100 Millionen betrugen, erscheinen die prognostizierten Kosten der ELGA zu niedrig angesetzt.

Geht man von der – sehr optimistischen – Vermutung aus, dass das wenig benutzerfreundliche Produkt ELGA in der Arztpraxis, in den Ambulanzen und im sonstigen Spitalsbetrieb jedes Mal eine Minute mehr an Handling-Zeit veranschlagt als heute, so summiert sich das auf eine unglaubliche – und unglaublich kostspielige – zusätzliche Belastung auf.  Es ist also davon auszugehen, dass ELGA enorme Zusatzkosten verursacht: Bei den Ländern und Spitalsträgern, und bei den niedergelassenen Ärzten, die wohl viele Tausende Euro und sehr viel Zeit investieren müssen. Es ist abzusehen, dass man angesichts dieser Kostenentwicklung irgendwann auf die Kassen zukommen wird, um diese Position einzupreisen.

Wer also bei ELGA die Kosten zahlen wird ist klar: Wir alle!

 (Leicht gekürzte Version meines Vortrags bei der SVA im Rahmen des E-Health Summit Austria)