Gesundheitspolitik bereitet Abschaffung niedergelassener Ärzte und das Ende der freien Arztwahl vor

Die österreichische Gesundheitspolitik bereitet derzeit entschlossen und konsequent die Abschaffung der niedergelassenen Ärzte, das Ende der freien Arztwahl und das Ende eines bewährten Gesundheitssystems vor, in dessen Mittelpunkt seit vielen Jahrzehnten Haus- und Vertrauensärzte stehen, wie sie die Patientinnen und Patienten kennen und schätzen. Das zeigt ein jetzt bekannt gewordenes Positionspapier mit dem Titel „Multiprofessionelles und interdisziplinäres Primärversorgungskonzept – Fassung nach Redaktionsgruppe 2. 6. 2014“, das unter Federführung des Gesundheitsministeriums und des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger erstellt wurde. Mit den jetzt bekannt gewordenen geplanten Änderungen der Verträge zwischen Ärztekammern und Sozialversicherungen ist die Katze endgültig aus dem Sack. Politik und Sozialversicherungen haben in den vergangenen Jahren sehr viel getan, um den niedergelassenen Bereich auszuhungern. Jetzt wissen wir, welche Strategie dahinter stand. Die Ärzteschaft wird aber dieser „Revolution von oben“ auf Kosten der bisherigen Versorgungsqualität die Zustimmung verweigern.

Versorgungszentren unterschiedlicher Größe bis hin zu anonymen Medizinfabriken

Denn hinter dem nur scheinbar harmlos klingenden Begriff „multiprofessionelle und interdisziplinäre Primärversorgung“ – kurz: PV – stehe in Wirklichkeit ein Modell von Versorgungszentren unterschiedlicher Größe bis hin zu anonymen Medizinfabriken ohne freie Arztwahl. Dort soll, heißt es in einem neuen Papier der Gesundheitspolitiker, die „Einschätzung des Behandlungsbedarfes und der Dringlichkeit sowie Ersthilfe“, aber auch „Anamnese, Erstdiagnostik, abgestufte weiterführende Diagnostik und Therapie“ nicht mehr notwendiger Weise durch Ärztinnen und Ärzte erfolgen, sondern durch „verschiedene Gesundheitsberufe“. Wer allerdings außer den Ärztinnen und Ärzten dafür ausgebildet sein soll, bleibt rätselhaft. Dass Nicht-Ärzte zum Beispiel in schweren akuten Fällen die erforderlichen Schritte bestimmen und veranlassen sollen, ist ja geradezu absurd und stellt für Patienten ein unverantwortbares Sicherheitsrisiko dar.

Keine neuen Kassenstellen, kein Kollektivvertrag für Ärzte

Der Fahrplan steht, geht es nach Gesundheitsministerium und Hauptverband, bereits fest: Zuerst soll, so das Papier wörtlich, „der Aufbau von PV-Strukturen auf freiwilliger Basis für bestehende Anbieter mit Kassenverträgen durch Anreize zum Ein- und Umstieg gefördert werden.“ Dann sollen „Planstellen für Allgemeinmediziner nur im Rahmen von PV-Strukturen zur Vergabe kommen. In diesem Fall sollen für Einzelordinationen im Rahmen einer PV-Struktur nicht die Gesamtverträge gelten.“ Das hier erklärte Ziel ist die zügige Abschaffung des Hausarztes: Es soll praktisch keine neuen Kassenstellen mehr geben, und den bisher mit den Kassen abgeschlossene ‚Kollektivvertrag für Ärzte‘, den Gesamtvertrag, soll es auch nicht mehr geben. Einen privat ordinierenden Hausarzt werden sich aber die meisten Menschen nicht leisten können.

Politik und Versicherer sparen gemeinsam auf Kosten der Patienten

Die Ärzteschaft soll, geht es nach den „Gesundheitsreformern“, künftig vom Mitwirken am ärztlichen Stellenplan ausgeschlossen werden: Ein von der Politik vorgegebener Regionaler Strukturplan Gesundheit (RSG) soll dann die „PV-Strukturen“ definieren, die künftig die Vertragspartner der Sozialversicherer sein sollen, nicht mehr die Ärztekammer. Was es für die Gesundheitsversorgung der Menschen bedeuten wird, wenn auf Sparkurs segelnde Politiker und Sozialversicherer sich gemeinsam die Versorgung ausmachen, und die Ärztekammer als Korrektiv und Anwalt der Patienteninteressen wegfällt, kann sich wohl jeder vorstellen. Am Ende wird jedenfalls eine alles reglementierende und kontingentierende Staatsmedizin stehen, die sich niemand ernsthaft wünschen kann.

Ausschluss der Ärzteschaft von Planungs- und Entscheidungsprozessen

Erstaunlicher Weise behaupten Vertreter von Gesundheitsministerium und Hauptverband immer wieder, dass die Ärztekammer diese Papiere inhaltlich mittrage: tatsächlich wurde die Ärztekammer bewusst aus den Gruppen, die diese Ideen geboren haben, ausgeschlossen, analog zur Gesundheitsreform, wo man ja auch die Kammer ausgeschlossen hat. Man sieht die Ärzte und die Gesundheitsberufe nicht als Partner, sondern als diejenigen, die „Vorgaben von oben“ zu erfüllen haben. Natürlich treten wir solchen Attacken auf die Versorgung im niedergelassenen Bereich mit Entschlossenheit entgegen. Für die von einigen Gesundheitspolitikern und Sozialversicherern erträumte revolutionäre Umgestaltung des Gesundheitssystems, die zu einer Verschlechterung für Patientinnen und Patienten führen wird, ist die Ärztevertretung nicht zu haben.

Niedergelassener Ärzte stärken, nicht behindern

Die Ärztekammer begrüßt jedoch eine Diskussion über eine weitere Optimierung in der Primärversorgung und hat diese wiederholt von der Politik eingefordert: Dabei muss es allerdings darum gehen, im Interesse der Patientinnen und Patienten und der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems den Stellenwert niedergelassener Haus- und Vertrauensärzte zu stärken, sie als Drehscheibe eines integrierten Gesundheitssystems zu positionieren. Optimale Primärversorgung muss erste Diagnostik, erste Behandlung, Koordinierung, Begleitung und Weitervermittlung leisten. Nötig sind dafür Rahmenbedingungen, die die Arbeit niedergelassener Ärzte stärken, nicht behindern.