Primärversorgung: Sehr aufmerksam beobachten, wie das Konzept tatsächlich umgesetzt wird

Zur Erinnerung: Die Vorschläge der Gesundheitspolitik zum Thema Primärversorgung (PV) waren oft unklar, sprunghaft und unzumutbar. Nach einigen Verhandlungsrunden liegt ein inzwischen von der Bundeszielsteuerungskommission angenommenes Papier („Das Team rund um den Hausarzt – Konzept zur multiprofessionellen und interdisziplinären Primärversorgung in Österreich“) des Gesundheitsministeriums vor. Die schlimmsten Zumutungen der Vorgänger-Versionen konnten von der Ärztekammer wohl herausverhandelt werden, und es gibt darin sinnvolle Ideen, wie zum Beispiel eine bessere Vernetzungzwischen den Gesundheitsberufen. Aber Details können bekanntlich tückisch sein, und wir werden deshalb sehr aufmerksam beobachten, wie das Papier tatsächlich umgesetzt wird, und notfalls rechtzeitig gegensteuern.

Hier einige Beispiele für Änderungen gegenüber früheren Entwürfen, die von der Ärztekammer durchgesetzt werden konnten:

Die zentrale Rolle der Ärztinnen und Ärzte in der Primärversorgung wurde festgeschrieben, nicht nur im Titel des Papiers. In früheren Konzepten wurde der Arzt praktisch nicht erwähnt, er wurde als der Krankenschwester und der Sprechstundenhilfe gleichrangig aufgefasst, ungeachtet der bestehenden Unterschiede in Ausbildung und Expertise. Jetzt heißt es: Ärztliche und nicht-ärztliche Gesundheits- und Sozialberufe arbeiten unter der medizinischen Leitung des Arztes in der PV im Team. Das ist ein Fortschritt auch im Sinne einer qualitätsvollen medizinischen Versorgung.

Der Gesamtvertrag wurde nicht ausgehebelt: Ursprünglich hieß es im Arbeitspapier, dass mittel- bis langfristig alle Planstellen für Allgemeinmediziner nur im Rahmen von PV-Strukturen möglich sein werden und Gesamtverträge in diesem Fall keine Geltung mehr haben.

Jetzt heißt es: „Dieses Konzept rückt auch vom Prinzip von Gesamtverträgen der Sozialversicherung mit den Leistungserbringern nicht ab.“ Für die neuen PV-Strukturen ist eine eigenständige gesamtvertragliche Vereinbarung (Anm.: im Sinne des Sechsten Teils, Abschnitt II, 1. Unterabschnitt des ASVG) abzuschließen. Abweichend davon, bzw. wenn eine solche gesamtvertragliche Vereinbarung nicht zustande kommt, können von der Sozialversicherung Sonder-Einzelverträge mit Zustimmung der zuständigen Ärztekammer abgeschlossen werden. Für diese neuen gesamtvertraglichen Vereinbarungen sollen die Rechtsgrundlagen im ASVG geschaffen werden. Wir werden die Umsetzung dieser Vorhaben jedenfalls genau beobachten und uns, wenn nötig, sehr deutlich zu Wort melden.

Bestehende Einzel- und Gesamtverträge für AM sollen nicht berührt werden: Mittel- bis langfristig sollten ursprünglich alle Planstellen für Allgemeinmediziner nur im Rahmen von PV-Strukturen stattfinden. Jetzt heißt es: „Bestehende Einzel- und Gesamtverträge für AM werden durch die in diesem Konzept dargestellten neuen Primärversorgungsstrukturen nicht berührt und können in ihrer derzeitigen Form weiter bestehen. Zukünftig wird neben der Vergabe von Verträgen an die dargestellten neuen Primärversorgungsstrukturen auch weiterhin die Vergabe von Einzelverträgen an in Einzelordinationen tätige Hausärzte zur herkömmlichen Primärversorgung möglich sein.“

Rolle der Fachärzte wurde präzisiert: Auch die zunächst unklare Rolle der Fachärzte und der ungeklärte direkter Zugang zum FA wurde präzisiert. Jetzt heißt es: „Es geht um die Stärkung der Allgemeinmedizin, eine klare Profilbildung gegenüber der zweiten Versorgungsstufe (ambulante spezialisierte Versorgung durch niedergelassene Fachärzte, Ambulatorien und Spitalsambulanzen), ohne damit den freien Zugang zu den einzelnen Versorgungsstufen zu beschränken.“

Dazu kommen positive Effekte wie die ausdrückliche Nennung der Hausapotheken und der Lehrpraxis.

Es wäre sinnvoll und dem Ergebnis zuträglich gewesen, die Ärztekammer bereits frühzeitig in den Diskussionsprozess einzubinden. Für die Zukunft ist das mit Nachdruck zu fordern.

Ausblick: DiePV-Zentren werden wohl zunächst kaum Auswirkungen auf die niedergelassenen Ärzten haben, weil laut Bundeszielsteuerungskommission bis zum Jahr 2016 bloß ein Prozent der Bevölkerung pro Bundesland in den neuen PV-Zentren versorgt werden soll. Der große Rest wird also auch weiterhin von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten betreut werden. Und jetzt geht es darum, die Niedergelassenen zu stärken, und nicht weiter zu schwächen und auszuhungern. Es gibt heute in Österreich um 900 Arztpraxen mit Kassenvertrag weniger als 2000. Um die Spitäler sinnvoll entlasten zu können, wie es in zahllosen Regierungserklärungen als Ziel definiert ist, brauchen wir aber nicht weniger, sondern mehr Praxen: In Österreich 1.300 zusätzliche Praxen mit Kassenvertrag, allein in Wien 300. Wir brauchen mehr Gruppenpraxen und praktikable Rahmenbedingungen dafür, zeitgemäße Optionen der Zusammenarbeit sind zu schaffen und zu ermöglichen. All das auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es immer mehr Ärztinnen gibt, die einen guten Kompromiss zwischen Beruf und Familie suchen – was freilich auch auf viele Ärzte zutrifft.

Das Haus- und Vertrauensarztmodell der Ärztekammer weist hier einen sinnvollen Weg. Die Gesundheitspolitik sollte sich daran orientieren.