Das Regierungsprogramm 2017-2022: Eine erste Einschätzung

Dem Thema „Gesundheit“ widmet die neue Regierung in ihrem Regierungsprogramm 2017-2022 fünf engbedruckte Seiten, und es ist erfreulich, dass sich darin auch viele Vorschläge und Forderungen der Ärztekammer wiederfinden. Im folgenden erste Überlegungen dazu: Dass gleich im ersten Absatz zu lesen ist, dass „allen Bürgern ein niederschwelliger Zugang zu bestmöglicher medizinischer Versorgung sichergestellt werden“ ist ein positives und sehr eindeutiges Bekenntnis und es ist zu wünschen, dass in Zukunft – anders als in der Vergangenheit – die praktische Umsetzung dieses Grundsatzes von den politisch Verantwortlichen nicht regelmäßig eingefordert werden muss. Dass dabei „Digitalisierung und Telemedizin“ verstärkt eingesetzt werden sollen, entspricht einem internationalen Trend. In diesem Zusammenhang muss allerdings daran erinnert werden, dass das einerseits eine radikale Neuaufstellung der ELGA zu bedeuten hat, und andererseits, dass eine Online-Medizin ohne Ärzte voll auf Kosten der Patienten ginge.

Dass am Beginn des Kapitels „Gesundheit“ auch eine „Weiterentwicklung des Mutter-Kind-Passes“ versprochen wird, ist positiv und überfällig – wenn man es völlig anders macht als die letzte Regierung, die eine sinnvolle Weiterentwicklung mit bürokratischen Prozessen massiv behindert hat.

Stärkung des Hausarztes – kommt sie endlich?

Das Vorhaben einer „Stärkung des Hausarztes und der Gesundheitsversorgung vor Ort“ nimmt man als Ärztevertreter gerne zur Kenntnis, liest das aber nicht zum ersten Mal. Das gehörte zu den Standard-Stehsätzen vorangegangener Regierungsprogramme, und es ist im Sinne unserer Gesundheitsversorgung zu hoffen, dass es dieses Mal mehr als ein Lippenbekenntnis ist, auf welches das gerade Gegenteil folgt, nämlich eine konsequente Ausdünnung des niedergelassenen Ärztebereichs – genauso verhielt es sich nämlich in den vergangenen Jahrzehnten. An der zügigen und konsequenten Umsetzung u.a. folgender Schritte – allesamt Zitate aus dem Regierungsprogramm – wird die neue Regierung in diesem Zusammenhang zu messen sein: „Mehr Kassenärzte durch Attraktivierung und flexible Vertragsstrukturen vor allem im ländlichen Raum“, „Rahmenbedingungen für Hausärzte attraktiver gestalten“, „Finanzierung von Lehrpraxen sicherstellen“, „Überarbeitung des Erstattungskodex und Heilmittelkatalogs“ und „Entlastung der Spitalsambulanzen“.

Kassenärzte in den Räumlichkeiten von Wiens Spitälern sind problematisch

Kassenärzte in den Räumlichkeiten von Wiens Spitälern sehe ich als problematisch. In kleinen Gemeinden, in denen Spitäler zusperren, kann das unter Umständen im Sinne einer Erhaltung der Arbeitsplätze positiv gesehen werden. In Ballungszentren wie etwa in Wien ist das ein kritischer Punkt. Hier fordere ich jedenfalls eine Zustimmungspflicht der regionalen Ärztekammer, damit ausgewogen und marktverträglich agiert werden kann.

Novelle des PHC-Gesetzes ist dringlich

Die angekündigte „Novelle des PHC-Gesetzes in Richtung Flexibilisierung für Ärzte“ ist sicherlich dringlich, was dabei herauskommt, bleibt abzuwarten – und muss von Kammerseite mitgestaltet werden. Interessamt wird auch die angekündigte praktische Umsetzung der „Etablierung der Primärversorgung und Entwicklung eines Ausrollplanes“ und die „Einbindung weiterer Gesundheitsberufe (Apotheker, diplomierte Krankenpfleger etc.)“. Gerade bei der Primärversorgung haben wir in den vergangenen Jahren erleben müssen, wie oft und wie sehr der Teufel im Detail steckt.

Der Satz „über die Therapie entscheidet ausschließlich der Arzt mit dem Patienten“ sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit ansprechen, doch ist dieses Element der ärztlichen Freiberuflichkeit schon längst keine Selbstverständlichkeit mehr, sondern vielerorts durch Bürokratie und Betriebswirtschaft bedroht. Was schließlich die „Stärkung der nichtärztlichen Gesundheitsberufe nach internationalem Vorbild“ praktisch bedeuten soll, werden wir wohl bald sehen.

ELGA gründlich überarbeiten

Die im Regierungsprogramm festgeschriebene „Praxisorientierte Anwendung von ELGA“, bzw. die erforderlichen Vorarbeiten dafür,  sind überfällig, und es stimmt optimistisch, dass die neue Regierung das erkennt und ausspricht: „Besonders der eBefund soll evaluiert und neu aufgesetzt werden, um nutzerfreundlicher zu werden.“  ELGA, um es an dieser Stelle nochmals zu betonen, ist derzeit u.a. unter praktischen und haftungsrechtlichen Gründen unbrauchbar und bietet keine Befundvollständigkeit, und muss deshalb komplett überarbeitet werden, bevor man dieses Produkt Ärzten und Patienten zumuten kann.

Reform der Krankenkassen

Die geplante Zusammenlegung der Krankenkassen wird von der konkreten Ausgestaltung dieses Prozesses abhängen. Es gibt zwar im Regierungsprogramm Bekenntnisse zur „Wahrung der länderspezifischen Versorgungsinteressen“ und zur Festlegung der „länderweisen Budgetautonomie, was das in der Realität bedeuten soll, bleibt abzuwarten, ebenso wie der Passus: „Die neu zu errichtende Österreichische Krankenkasse (ÖKK) hat in der Übergangsphase die bisher in den Ländern durch die GGKs finanzierten Leistungen weiterhin sicherzustellen.“

Meine Haltung dazu: Wir werden erleben, ob die vielfachen Warnungen vor zu viel Zentralismus ernst genommen werden. Ein zentralistisches bzw. monolithisches Krankenkassensystem wäre jedenfalls gegenüber dem jetzigen ein Rückschritt, weil dann davon auszugehen wäre, dass regionale gesundheitspolitische Gegebenheiten unberücksichtigt blieben. Wien mit seinem Großstadtfaktor hat nun einmal völlig andere Probleme und Bedürfnisse als Agrar- oder Alpen-Regionen.

Soweit meine erste Einschätzung des Regierungsprogramms 2017-2022. Ich werde Sie weiterhin auf dem Laufenden halten.