Wir brauchen einen Gesundheitsreform-Polylog mit allen Entscheidungsträgern: Versorgungsprobleme gehören nicht negiert, sondern gelöst, die Ärzteschaft muss in Erneuerungsprozess zentrale Rolle spielen

Wir brauchen einen konstruktiven gesundheitspolitischen Gipfel mit allen relevanten Entscheidungsträgern, damit unser einst bewährtes Gesundheitssystem nicht durch politische Fehlentscheidungen zu Grunde geht. Versorgungs-Engpässe im österreichischen Gesundheitssystem verschärfen sich als Folge der Umsetzung des Ärztearbeitszeitgesetzes aktuell dramatisch.

Die Position der Ärztekammer zu aktuellen Versorgungsproblemen ist klar und wurde zuletzt mehrfach im Zusammenhang mit der Umsetzung des Ärztearbeitszeitgesetzes öffentlich präzisiert. Unser Gesundheitssystem braucht insbesondere angesichts des Patientenstromes aus den Spitälern in die Arztpraxen Österreich-weit 1.300 zusätzliche Arztpraxen mit Kassenvertrag. Wir brauchen mehr Zeit für Patienten und deshalb weniger Bürokratie und absolut keine Chefarztpflicht oder elektronische Bewilligungssysteme. Und es müssen im Lichte der aktuellen Entwicklungen für Kassenpraxen Deckelungen und Degressionen gestrichen werden, weil sie die Versorgung behindern und die Wartezeiten verlängern. Zu diesen und weiteren Themen einer vernünftigen Gesundheitsreform treten wir gerne in einen Dialog mit dem Hauptverband, wie ihn Hauptverband-Präsident Mag. Peter McDonald der Ärztekammer angeboten hat. Dass die Ärzteschaft Reformideen erarbeitet und regelmäßig ihre Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft erneuert, hat Tradition, und diese setzen wir gerne fort.

Wenn also der Präsident des Hauptverbandes der Ärztekammer mittels Presseaussendung mitteilt, dass er das Gespräch sucht, dann ist die Ärzteschaft natürlich grundsätzlich gern dazu bereit, und wäre das auch ohne Presseaussendung gewesen. Immerhin ist das ein besserer Stil als in den vergangenen Jahren, als die Gesundheitspolitik- und -bürokratie die Ärzteschaft aus Entscheidungsprozessen ausgeschlossen hat oder einfach über Ärztekammerpositionen drübergefahren ist. Stichworte sind hier Gesundheitsreform, Kostendämpfungspfad oder ELGA – also alles Themen, bei denen es sich bitter gerächt hat, die Warnungen der Ärzteschaft zu ignorieren. So gesehen sei das Gesprächsangebot des Hauptverband-Präsidenten ein Fortschritt.

Allerdings bevorzugen wir einen partnerschaftlichen Dialog auf Augenhöhe, der thematisch offen sein muss, und nicht wieder eine Art Dekret, das festlegt, wozu sich die Ärztekammer äußern darf und wozu nicht. Wenn also der Hauptverband-Präsident uns in seiner Gesprächseinladung per Presseaussendung gleich einmal „Verunsicherungspolitik“ vorwirft und Versorgungsengpässe generell in Abrede stellt, dann ist das eine ungewöhnliche Basis für einen Dialog. Immerhin erleben zahllose Menschen in Österreich hautnah die Konsequenzen der Gesundheitspolitik der vergangenen Jahre: Sie leiden jetzt ganz besonders unter der Kulminierung der Versorgungsprobleme durch das Ärztearbeitszeitgesetz, sie bekommen keine Ambulanztermine, warten oft gefährlich lange auf Operationstermine, und sie sind mit oft monatelangen Wartezeiten in den überforderten Arztpraxen konfrontiert. Wer die Bevölkerung glauben machen möchte, dass es diese Probleme nicht gibt, der riskiert, an Glaubwürdigkeit einzubüßen. Das gehört nicht negiert, das gehört gelöst.

Im Übrigen hält der Hinweis der Hauptverbands-Präsdienten auf die angeblich „höchste Ärztedichte weltweit“ in Österreich einer genaueren Überprüfung nicht stand. Rechnet man die Turnusärzte heraus, so gibt es in Österreich 4,1 Ärzte pro 1.000 Bewohner, das entspricht der Dimension der Schweiz, Schwedens (jeweils 3,9), Deutschlands (4,0) und Norwegens (4,2). Es darf außerdem nicht übersehen werden, dass es heute 900 Arztpraxen mit Kassenvertrag weniger gibt als vor 15 Jahren. Auch darüber wird mit dem Hauptverband zu sprechen sein.

Die Ärztekammer ist also dialogbereit, allerdings nicht zu oktroyierten Bedingungen, sondern über alle Fragen, die infolge von Schwachstellen unseres Gesundheitssystems diskutiert und gelöst werden müssen. Ein Dialog mit dem Hauptverband wird nicht genügen, um alle anstehenden Probleme, die Folgen der Unterlassungspolitik der vergangenen Jahre sind, zu lösen. Wir brauchen darüber hinaus einen Gesundheitsreform-Polylog mit allen relevanten Mitspielern und Stakeholdern des Gesundheitssystems, um endlich die Weichen neu zu stellen. Die Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit haben dramatisch gezeigt, dass die Ärzteschaft in so einem Reform-Polylog und Erneuerungsprozess eine zentrale Rolle spielen muss.