Ärztedichte und Versorgungsprognose: OECD-Zahlen legen falsche Basis für gesundheitspolitische Entscheidungen – Künftiger Ärztemangel ist weit dramatischer als bisher angenommen

Verlaufsstatistiken und Zukunftsprognosen zeigen sehr klar, dass sich die aktuellen Versorgungsprobleme zu einem krisenhaften Ärztemangel sowie einer Bedrohung für die Gesundheitsversorgung auswachsen werden, wenn nicht rasch und wirksam gegengesteuert wird. Wir haben heute aktuelle Zahlen zu diesem Thema bei einer Pressekonferenz präsentiert.

Das Phänomen Ärzteknappheit ist nicht typisch für Österreich, sondern ein europaweiter Trend. Österreich-spezifisch ist allerdings, dass viele gesundheitspolitisch Verantwortliche hierzulande trotz eindeutiger Evidenz vom Problem des Ärztemangels nichts wissen wollen und das Offensichtliche verleugnen. Sie verweisen lieber auf die OECD-Zahlen, wonach Österreich (nach Griechenland) die zweithöchste Ärztedichte Europas habe. In Österreich kämen demnach 5,05 Ärztinnen und Ärzte auf 1.000 Einwohner.

Wir haben jetzt Hon.-Prof. Mag. Dr. Leo Chini, den Leiter des Forschungsinstituts für Freie Berufe an der Wirtschaftsuniversität Wien, damit beauftragt, diese Zahlen einer wissenschaftlichen Analyse zu unterziehen. Er weist sehr klar nach, dass diese Zahlen schon deswegen falsch und irreführend sind, weil die einzelnen Länder so nicht verglichen werden können. In Österreich beispielsweise werden Köpfe herangezogen, die auch teilzeitbeschäftigte und in Ausbildung befindliche Ärztinnen und Ärzte miteinbeziehen, die natürlich alle nicht voll versorgungswirksam sind.

Rechnet man die Turnusärzte heraus und vergleicht die Anzahl der Ärztinnen und Ärzte mit eingetragener Berufsbefugnis zur selbstständigen Berufsausübung, ergibt sich ein gänzlich anderes Bild. Demnach kommen in Österreich lediglich 4,32 Ärztinnen und Ärzte auf 1.000 Einwohner, womit Österreich bei der Ärztedichte nicht mehr auf Platz zwei der europäischen Länder, sondern auf Platz 13.

Beachtet man dann noch, dass nicht jeder eingetragene Arzt voll versorgungswirksam ist, da die Anzahl der Teilzeitbeschäftigten kontinuierlich steigt, ist die tatsächliche Ärztedichte real noch einmal um eine Stufe niedriger.

Doch statt zu handeln und Maßnahmen gegen den wachsenden Ärztemangel zu setzen, wird weiter mit falschen Zahlen argumentiert und werden diese weiterhin als Basis für politische Entscheidungen verwendet.

Mehrbedarf in Wien: In 14 Jahren fehlen uns 4.000 Ärzte

Dazu kommt, dass die Altersstruktur der Ärzteschaft als fixer Parameter stetig nach oben steigt. Mehr als 60 Prozent der Kassenärzte werden in den kommenden zehn Jahren das gesetzliche Pensionsalter erreichen. Derzeit sind österreichweit schon mehr als 70 Kassenordinationen unbesetzt. Bei einem Blick nach Wien wird das Problem noch deutlicher: Geht man von einem Pensionsantritt mit 67 Jahren aus, gibt es von den derzeit 730 Hausärzten in Wien im Jahr 2030 wegen dem fehlenden Nachwuchs nur noch 190 Hausärzte mit einem Kassenvertrag.

Prof. Chini kommt daher zu einem dramatischen Schluss: Im Jahr 2030, also in nur 14 Jahren, fehlen uns allein in Wien zwischen 3.000 und 4.000 Ärztinnen und Ärzte. Das müssen die Verantwortlichen in der Politik endlich akzeptieren und darauf reagieren.

Masterplan Medizinernachwuchs

Genügend Nachwuchs, um eine fundamentale Versorgungskrise abzufangen, ist nicht in Sicht. Nur mit verstärkten Anreizen kann man Junge zum Medizinstudium und zum Arztberuf motivieren und dazu beitragen, dass sie eine Tätigkeit in Österreich gegenüber einer im Ausland den Vorzug geben.

Dafür muss eine Reihe von Maßnahmen gesetzt werden. Bürokratischen Auflagen, die sehr viel Zeit kosten und den Patienten keinen Nutzen bringen, müssen endlich gestrichen werden. Beispiele sind das überflüssige und aufwendige Arzneimittelbewilligungssystem sowie die Formularflut, mit der sich vor allem Kassenärzte abplagen müssen.

Schluss gemacht werden sollte auch mit Deckelungen und Degressionen, also der Nicht- oder Minderhonorierung ärztlicher Leistungen im niedergelassenen Bereich nach Erreichen eines bestimmten Plafonds oder „Deckels“, unabhängig von medizinischen Notwendigkeiten. Wir brauchen keine künstlichen Leistungsverknappungen, sondern eine Medizin, die den realen Bedarf der Patienten zum Maßstab nimmt.

Zumutungen wie „Mystery Shopping“, bei dem Kassenspitzel Ärztinnen und Ärzte zu einem Fehlverhalten provozieren wollen, das ihnen dann zum Vorwurf gemacht werden kann, müssen ebenfalls abgeschafft werden. Mystery Shopping führt zu einer Absicherungsmedizin, behindert den Ordinationsbetrieb und die Patientenversorgung und untergräbt das Vertrauen zwischen Arzt und Patient.

Auch die verpflichtende Identitätsfeststellung von Patienten durch das Vorzeigen eines Lichtbildausweises ist zeitraubend und stört die Abläufe. Wir fordern hier einmal mehr eine E-Card mit einem Foto ihres Besitzers – so schwierig kann das ja nicht sein, andere Institutionen schaffen es schließlich auch.

Die Gesundheitspolitik darf auch die immer wichtiger werdende Rolle von Wahlärztinnen und -ärzten nicht übersehen. Ohne sie würde der niedergelassene Versorgungsbereich schon jetzt nicht mehr funktionieren. Ihre Arbeit ist für die Versorgung existenzwichtig. Der immer wieder vorgebrachte politische Wunsch, Wahlärzte abzuschaffen oder in ihrer Tätigkeit einzuschränken, ist Gesundheitsversorgungs-Harakiri und ein in seiner Sinnhaftigkeit nicht nachvollziehbarer Versuch, einen der letzten gut funktionierenden Bereiche unseres Gesundheitssystems zu schädigen. Also Hände weg von den Wahlärzten, ohne sie geht es nicht.

Politik ist dringend gefordert

Die Politik muss dringend wirksame Maßnahmen setzen. Noch gibt es einen gewissen Spielraum für einen Kurswechsel und das Implementieren geeigneter Maßnahmen, um das Interesse am Medizinstudium und dem Arztberuf zu stimulieren. Es muss rasch und entschlossen gehandelt werden, damit entsprechende Entscheidungen rechtzeitig versorgungswirksam werden.