Neue Zahlen: Ärztemangel verschärft sich in Österreich von Jahr zu Jahr

 

Der Ärztemangel in Österreich verschärft sich spürbar und messbar von Jahr zu Jahr. Leider wird diese Tatsache von vielen Gesundheitspolitikern, Kassenfunktionären und Gesundheitsökonomen noch immer geleugnet. So viel Weltfremdheit verblüfft angesichts der harten aktuellen Zahlen.

Wir haben die aktuelle Altersstatistik (Stand Dezember 2018) aller 18.287 niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte im Hinblick auf den Ärztemangel ausgewertet. So können wir zeigen, wo wir heute stehen, in welchem Umfang sich die Situation in den kommenden Jahren verschärfen wird, und wie hoch der mittel- und längerfristige Nachbesetzungsbedarf bei Ärztinnen und Ärzten ist.

Die Situation der niedergelassenen Ärzteschaft 

Heute haben wir in Österreich die höchste Alters-Konzentration bei niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten mit einem Lebensalter um die 56-58. In 10 Jahren werden die meisten aus dieser Gruppe bereits in Pension sein. Konkret werden dann 48 Prozent aller niedergelassenen Ärzte, also fast die Hälfte, das Pensionsantrittsalter erreicht haben.

Verschiebt sich die Altersverteilung in Richtung Pensionsalter, so gehen jedes Jahr Stellen verloren, die aber bei weitem nicht mit jungen Ärztinnen und Ärzten nachbesetzt werden können, weil die Entwicklung insgesamt deutlich rückläufig ist. Die gegenwärtigen Zahlen bei den niedergelassenen Ärzten, die schon jetzt nicht mehr für alle nötigen Nachbesetzungen ausreichen, werden wir allerdings aus heutiger Sicht nie wieder erreichen.

Den mittelfristigen jährlichen Nachbesetzungsbedarf haben wir mit 938 Ärztinnen und Ärzten errechnet. Das ist die Anzahl zusätzlicher niedergelassener Ärzte, die wir zur Aufrechterhaltung des Status quo in 5 Jahren benötigen, um die pensionsbedingten Abgänge zu kompensieren.

Allerdings sind wir weit davon entfernt, diesen Bedarf decken zu können. 2017 gab es an den öffentlichen Universitäten 1.665 Absolventen eines Medizinstudiums, und wir wissen, dass um die 40 Prozent davon nicht in Österreich als Ärzte arbeiten werden. Rein rechnerisch müssten also alle in Österreich verbleibenden Absolventen niedergelassene Ärzte werden, um den Bedarf zu decken.

Verschärfend kommt zu diesen Berechnungen noch dazu, dass der Ärztebedarf in Zukunft steigen wird, weil die Bevölkerung voraussichtlich wächst und älter und somit betreuungsintensiver wird. Außerdem gibt es bei jüngeren Ärzten einen Trend zur Teilzeittätigkeit, was bei künftigen Planungen berücksichtigt werden muss.

Die Situation bei den Ärzten mit GKK-Vertrag

Betrachten wir die 7.099 Ärztinnen und Ärzte mit einem GKK-Vertrag, die für die niedergelassene Versorgung auf e-Card bedeutsam sind, so sind wir mit einer besonders dramatischen Situation konfrontiert. Die Altersverteilung hat hier eine deutliche Zacke nach oben bei den heute 61- und 62jährgen, in 10 Jahren haben 55 Prozent aller Ärzte mit GKK-Vertrag das Pensionsalter erreicht. Besonders alarmierend ist das sukzessive Ausbleiben des Nachwuchses. Das steht in einem scharfen Kontrast zum mittelfristigen Nachbesetzungsbedarf von 434 GKK-Ärzten pro Jahr.

Von den Allgemeinmedizinern mit GKK-Vertrag wird mehr als jeder 2. in 10 Jahren das Pensionsalter erreicht haben, bei den GKK-Fachärzten sind es 60 Prozent.

 

Diese düstere Perspektive bekräftigt einmal mehr unsere Forderungen, dass die Rahmenbedingungen der kassenärztlichen Tätigkeit deutlich attraktiver werden müssen, damit sich junge Ärzte wieder für einen Kassenvertrag entscheiden.

Die Situation bei den Wahlärzten

Von den heute 10.099 Wahlärzten erreichen in den nächsten 10 Jahren fast 42 Prozent das Pensionseintrittsalter, und bei den Jüngeren sind die Zahlen rückläufig.

Grundlage für wirksame Gegenmaßnahmen

Diese alarmierenden Daten und Fakten sollen der Politik eine konkrete Grundlage für wirksame Gegenmaßnahmen bieten und gewinnen vor dem Hintergrund der „Kassenreform“ und der zu gründenden „Österreichischen Gesundheitskasse“ zusätzliche Aktualität.

Mögliche Gegenmaßnahmen kann man sich zum Beispiel von unserem Nachbarland Deutschland abschauen, wo das Problem Ärztemangel politisch weitgehend unbestritten ist und wo zahlreiche Lösungsversuche im Gange oder in Vorbereitung sind.

  • Der „Masterplan Medizinstudium 2020“ sieht in Deutschland eine Erhöhung der Zahl der Medizinstudenten vor.
  • Zahlreiche deutsche Bundesländer vergeben Landarztstipendien – wer eines bekommt, verpflichtet sich, einige Jahre in der jeweiligen Region zu arbeiten.
  • Einige Spitäler vergeben Stipendien, wenn Studierende nach dem Studium eine Zeitlang dort arbeiten.
  • Jungärzte werden von ländlichen Regionen mit Geld und sonstigen attraktiven Zusatzleistungen geködert.
  • Immer mehr deutsche Ärztekammern – zuletzt in Niedersachsen – befürworten als Reaktion auf den Ärztemangel die Online-Betreuungen von Patienten auch ohne vorangegangenen persönlichen Kontakt.

Wie immer man zu solchen Maßnahmen auch stehen mag: in Deutschland ist jedenfalls auf breiter Basis Bewegung in die Sache gekommen. Auch in Österreich sind einige Bundesländer bereits aktiv geworden, für einen nachhaltigen Erfolg bedarf es allerdings auch wirksamer Aktivtäten auf Bundesebene.

Entscheidend wird sein, dass die Arbeitsbedingungen von Ärzten in Österreich nicht weniger attraktiv sind als im Ausland, insbesondere im deutschsprachigen, sondern möglichst noch besser. Und hier besteht noch Nachholbedarf, will man die ärztliche Abwanderung erfolgreich stoppen. Das ist nicht nur eine Frage der angemessenen Honorierung ärztlicher Leistungen, sondern auch von flexiblen Arbeitsmöglichkeiten, die den individuellen Vorstellungen entsprechen. Und von weniger Bürokratie, die derzeit Kassen- und Spitalsärzten das Leben schwer macht.

Zu überlegen ist auch, wie sinnvoll Altersbegrenzungen für niedergelassene Kassenärzte angesichts der Ärzte-Altersstatistik noch sind.

Lösungsorientierter politischer Gipfel zur Behebung des Ärztemangels

Dringend nötig sind also gemeinsame Anstrengungen aller betroffenen Ministerien und Interessensvertretungen: Es muss ein Paket geschnürt werden, das dafür sorgt, dass nicht nur ausreichen viele Ärzte ausgebildet werden, sondern dass diese auch in Österreich bleiben.

Wir brauchen also dringend einen konstruktiven und lösungsorientierten politischen Gipfel zur Behebung des Ärztemangels und seiner dramatischen Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung. Die Ärztekammer ist dabei sehr gerne ein Teil der Lösung.