Forderungen der niedergelassenen Ärztevertretung an Sozialversicherungen und Politik

Dass Zeiten des Neubeginns und der Veränderungen sowohl Risiken als auch Chancen mit sich bringen, gilt natürlich auch für die aktuelle Neuorganisation des Sozialversicherungssystems. Potenzielle Risiken sehe ich in einer möglichen Entwicklung hin zu einem zentralistischen Sozialversicherungs-Giganten. Zu einem System, das sich über regional unterschiedliche Bedürfnisse in der Gesundheitsversorgung einfach hinwegsetzt, von zentraler Stelle aus dirigistisch agiert und seine Verhandlungsmacht dazu nützt, Einspar-Vorgaben durchzudrücken. So eine Entwicklung unserer Gesundheitsversorgung auf den Kopf fallen.

Die Chancen durch die Kassenreform bestehen aus der Sicht der niedergelassenen ärztlichen Versorgung in der Neuaufstellung eines Systems, das sich über Jahrzehnte bundesländerweise oft recht unkoordiniert entwickelt hat. Diese Chance zu einer echten Modernisierung und zu einer Kassenreform, die diesen Namen auch wirklich verdient, sollte von der Gesundheitspolitik und der neuen Spitze des Dachverbandes genützt werden. Im Folgenden Maßnahmen und Ziele, die aus der Sicht der Ärztevertretung prioritär sind:

  • Ein zentrales Ziel ist die Modernisierung und Vereinheitlichung des kassenärztlichen Leistungskataloges für ganz Österreich. Welche Kassenleistungen ein Patient bekommt und welches Honorar sein Arzt dafür erhält, das unterliegt zum Teil erheblichen Schwankungen. Ein Österreich-weit einheitlicher kassenärztlicher Leistungskatalog soll sicherstellen, dass allen Bürgern das Gleiche angeboten werden kann und dass Kassenleistungen nicht länger von der Zufälligkeit des Wohnortes abhängen. Die Ärztekammer arbeitet derzeit an diesem Leistungskatalog, den wir schon bald vorstellen werden.
  • Bei der Fusion der Gebietskrankenkassen zu einer Österreichischen Gesundheitskasse ist darauf zu achten, das Büro der ÖGK schlank zu halten und kostspielige Doppelstrukturen zu vermeiden. Entscheidungen, die die nur auf lokaler Ebene kompetent getroffen werden können, müssen weiterhin vor Ort getroffen werden. Das gilt zumindest für den Stellenplan, die Vergabe von Kassenstellen, und für ein dem regionalen Bedarf angepasstes Leistungsspektrum der Kassenärzte.
  • Es muss zusätzliches Geld in die Versorgung investiert werden. Unabhängig von den tatsächlichen Einsparungen oder Zusatzausgaben durch die Kassenreform muss eine Patientenmilliarde in die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung fließen.
  • Der niedergelassene kassenärztliche Bereich, der von der Politik und der Kassenbürokratie so lange Zeit vernachlässigt wurde, muss endlich besser ausgestattet werden. Dazu gehören unter anderem etwa 1.300 neue Kassenärzte, um das Versorgungsniveau der vergangenen Jahrzehnte wiederherzustellen und um die Krankenhäuser wirksam zu entlasten.
  • Deckel und Degressionen im kassenärztlichen Bereich sind ersatzlos zu streichen. Dieses System der Nicht- oder Minderhonorierung kassenärztlicher Leistungen ab dem Erreichen einer bestimmten Zahl von Behandlungen erzeugt künstliche Engpässe und Wartezeiten. Es muss der Grundsatz gelten: Jeder Patient ist gleich viel wert, und jede ärztliche Leistung für Patienten muss abgegolten werden. Maßstab für bezahlte soziale Gesundheitsleistungen muss der reale Bedarf der Patienten sein.
  • Jeder Hausarzt soll zum Führen einer Hausapotheke berechtigt sein. Die bestehende Kilometergrenze muss deshalb revidiert werden. Eine Ausweitung der ärztlichen Hausapotheken würde nicht nur einen patientenfreundlichen One-stop-shop ermöglichen, sondern auch die Wohnort-nahe Versorgung mit Medikamenten sicherstellen.
  • Eine Kernforderung: Schluss mit der überbordenden Bürokratie in den Praxen niedergelassener Ärzten. Ärzte müssen die verfügbare Zeit ihren Patienten zugutekommen lassen, und nicht mit Bürokratie vergeuden. Deshalb Schluss mit zeitaufwändigen Arzneibewilligungssystemen und einer nicht immer sinnvollen Dokumentationspflicht.
  • Nächster Punkt: Keine Verschlechterungen im Wahlarzt-Bereich. Wahlärzte sind eine unersetzbare Säule der Versorgung und eine von der Bevölkerung sehr gut angenommene Alternative zur Kassen- und zur Privatmedizin. Wer dieses System abschaffen möchte, setzt die Versorgung aufs Spiel.
  • Ein weiterer wichtiger Punkt unseres Forderungskatalogs betrifft ELGA. Es darf nicht sein, dass mit sensiblen Gesundheitsdaten herumexperimentiert wird. ELGA muss neu konzipiert werden, insbesondere unter dem Aspekt der Anwenderfreundlichkeit, wozu eine übersichtliche Patient Summary unabdingbar ist. Statt Einzelprojekten wollen wir eine gemeinsame österreichische e-Health-Digitalisierungssteuerung. Die beteiligten IT-Unternehmen (ELGA GmbH, SVC und ITSV) sollten vereinheitlicht werden. Zudem brauchen wir Ärztinnen und Ärzte ein garantiertes Mitspracherecht bei EDV-Entscheidungen, von denen wir betroffen sind. Finanzierung und Usability müssen schon vor dem Einsatz neuer Digitalisierungsprojekte sichergestellt sein.
  • Sämtliche erfolgreichen Reformen und Modernisierungen im Gesundheitssystem, setzen voraus, dass es ausreichend viele Ärzte gibt. Gegen den erwartbaren Ärztemangel müssen seitens der Gesundheits- und Bildungspolitik wirksame Maßnahmen ergriffen werden. In Anbetracht des europaweiten Wettbewerbs ist es dringend geboten, den Standort Österreich für Ärztinnen und Ärzte von der Ausbildung an zu attraktivieren. Dazu gehört nicht zuletzt das Schaffen des Facharztes für Allgemeinmedizin. Den politischen Verantwortlich muss klar sein: Wenn man will, dass Ärzte in Österreich bleiben und nicht abwandern, dürfen die Rahmenbedingungen der ärztlichen Tätigkeit bei uns nicht schlechter sein als in anderen Ländern.