Die Aut idem Lösung in der Medikamentenversorgung: Viele Nachteile, keinerlei Nutzen

Heute hatten wir in der Ärztekammer ein Pressegespräch gemeinsam mit Herrn Univ.-Prof. Dr. Michael Freissmuth, dem Leiter des Zentrums für Physiologie und Pharmakologie der MedUni Wien, zum Thema Aut idem und Wirkstoffverschreibung, das gegenwärtig von der Apothekerkammer besonders nachdrücklich lobbyiert wird.

Hier meine Überlegungen dazu:

Traditionell gab und gibt es in Österreich eine sehr vernünftige grundsätzliche Trennung zwischen der Verordnung von Medikamenten durch Ärztinnen und Ärzte einerseits, und der Abgabe von Medikamente durch Apotheken andererseits. Die Entscheidungshoheit über die Verschreibung von rezeptpflichtigen Medikamenten liegt aus guten Gründen bei den Ärztinnen und Ärzten, die dafür durch ihr Medizinstudium und die verpflichtend vorgeschriebenen Aus- und Weiterbildungen bestens vorbereitet sind.

Die Schlüsselrolle des Arztes in der medikamentösen Therapie infrage zu stellen, kam in unserem Gesundheitssystem aus guten Gründen so gut wie niemandem ernsthaft in den Sinn.

In letzter Zeit ist das leider anders. Die Standesvertretung der Apotheker nimmt Lieferengpässe in der jüngeren Vergangenheit zum Anlass, um eine Aut idem Regelung zu fordern: Apotheker sollten die generelle Möglichkeit erhalten, bei wirklicher oder angeblicher Nicht-Lieferbarkeit das vom Arzt verschriebene Medikament durch ein anderes, ihrer Ansicht nach wirkstoffgleiches, zu ersetzen. Das soll angeblich Lieferengpässe vermeiden.

In diesem Zusammenhang muss allerdings kritisch angemerkt werden, dass manche Lieferengpässe durch Apotheken bzw. den Großhandel selbst verursacht wurden: Sie verkauften Medikamente über sogenannte Parallelexporte an das Ausland, wo höhere Gewinnspannen winkten – auch dadurch ist es in Österreich bereits zu Knappheit gekommen.

Andere aktuell diskutierte Varianten einer Änderung des Therapie- und Abgabesystems gehen noch über die Aut idem Regelung hinaus: Bei der sogenannten Wirkstoffverordnung zum Beispiel verordnet der Arzt bloß einen bestimmten Wirkstoff. Die Entscheidung über die tatsächlich abgegebene Arzneispezialität ginge vom Arzt gänzlich auf den Apotheker über.

Die Diskussion über die Einführung einer Aut idem Regelung oder eine Wirkstoffverordnung ist also auf der Agenda der Gesundheitspolitik. Die Apothekerkammer wünscht sich aus mehreren Gründen so etwas, die Österreichische Gesundheitskasse bekundete bereits ihre Unterstützung für eine Aut idem Regelung. Und Gesundheitsminister Anschober hat bereits öffentlich angekündigt, über solche Überlegungen mit den Playern im Gesundheitssystem im Herbst diskutieren zu wollen.

Aus unserer Sicht stellen die einseitigen Vorstöße in Richtung Aut idem oder Wirkstoffverordnung massive und äußerst problematische Eingriffe in das bestehende System dar.

Die Konsequenzen aus meiner Sicht:

  • In der Gesundheitsversorgung sollte jeder Gesundheitsberuf das tun, was er am besten kann: Die therapeutische Entscheidungshoheit, also auch die medikamentöse, muss beim Arzt verbleiben. Eine Übertragung der Entscheidung über die individuell abgegebene Arzneispezialität vom Arzt auf den Apotheker wäre rein wirtschaftlich motiviert und ginge auf Kosten der Versorgung.
  • Ein häufiger Wechsel von Handelspräparaten hätte negative Auswirkungen auf die Compliance und erhöht das Risiko von Fehl- und/oder Mehrfacheinnahmen mit entsprechend ungünstigen Auswirkungen auf Patienten und ihren Krankheitsverlauf.
  • Entzieht man den Ärzten die Entscheidung über die Verordnung der Therapie, so ist auch mit Haftungsproblemen zu rechnen.
  • Dass Aut idem oder die Wirkstoffverordnung grundsätzlich Engpässe in der Medikamentenversorgung lösen können und außerdem das Gesundheitsbudget entlasten, ist ein Scheinargument. Dahinter stehen die wirtschaftlichen Interessen des Medikamenten-Großhandels und seiner Apotheken.
  • Die Entscheidung des Apothekers, welches Produkt er abgibt, würde durch Gesichtspunkte wie Einkaufskonditionen und Rabatte beeinflusst werden. Es ist zu befürchten, dass durch entsprechende Absprachen einige Medikamente bevorzugt würden, und dafür anderen die wirtschaftliche Basis entzogen würde: mit nachteiligen Auswirkungen auf die Versorgung.
  • Aut idem oder eine Wirkstoffverordnung können die bestehenden Probleme bei der Versorgung mit Arzneien verstärken, die für Parallelexporte geeignet sind.
  • Das Einsparungspotenzial durch Aut idem oder Wirkstoffverordnung ist nicht gegeben.
  • Aut idem oder Wirkstoffverordnung brächten also Patienten, Ärzten und der Gesundheitsversorgung keinen Nutzen, dafür aber viele Nachteile. Vorteile bringen sie ausschließlich dem Medikamenten-Großhandel und seinen Apotheken.
  • Solche fragwürdigen Lösungen sind aus den genannten Gründen aus der Sicht der Ärztevertretung rigoros abzulehnen.