Tag der Patientensicherheit: Digitalisierung soll Ärzte unterstützen, nicht verdrängen

 

Die Entwicklung in Richtung E-Health, dem Einsatz digitaler Technologien im Gesundheitswesen, ist nicht aufzuhalten und kann durchaus großen Nutzen bringen, wenn man es richtig macht. Das ist aber nur dann der Fall, wenn moderne technische Methoden Ärztinnen und Ärzte unterstützen, nicht jedoch verdrängen oder ersetzen. Daran ist anlässlich des heutigen Internationalen Tages der Patientensicherheit zu erinnern, der dieses Jahr unter dem Motto „Digitalisierung und Patientensicherheit“ steht.

Modellen, die davon ausgehen, dass Big Data und Künstliche Intelligenz den Mediziner als Diagnostiker und Therapeuten in Zukunft ablösen werden, erteilt ich eine klare Absage: Die ärztliche Kunst basiert auf den Faktoren Erfahrung, Evidenz, Empathie und dem Einsatz neuer Erkenntnisse der modernen Medizin. Seit Kurzem kommt als fünftes „E“ E-Health dazu. Nur gemeinsam und in einer sorgfältig abgestimmten Balance garantieren diese fünf Faktoren eine optimale und möglichst fehler- und schadensfreie Behandlung.

Online-Medizin ist kein akzeptables Rezept gegen den Ärztemangel

Eine ausschließliche telemedizinische Versorgung und Fernbehandlung, wie sie zum Beispiel seit Kurzem in Teilen Deutschlands rechtlich möglich ist, kann den persönlichen Arzt-Patient-Kontakt nicht ersetzen. Außerdem sind Online- und Video-Diagnosen und -Therapien kein akzeptables Rezept gegen die negativen Folgen des Ärztemangels und Landarztsterbens. Wir brauchen ordentliche Arbeitsbedingungen für die kassenärztliche Tätigkeit, damit es wieder genug niedergelassene Ärzte gibt.

Eine vernünftig eingesetzte Online-Kommunikation kann aber eine Reihe von Vorteilen bringen:

  • Zum Beispiel kann bei schwierigen Fällen die telemedizinische Einbeziehung von Spezialisten mittels Telekonferenz Expertise auch dorthin bringen, wo es sie nicht gibt.
  • Die Online-Überwachung chronisch kranker Patienten in Hinblick auf Über- oder Unterschreitungen individueller Grenzwerte kombiniert effiziente Kontrolle mit einer Entlastung des medizinischen Personals.
  • Und Video-Kommunikation zwischen Arzt und Patient bei Routine-Kontakten kann in entlegenen Regionen ohne Arzt in der näheren Umgebung die Behandlung unterstützen.

Allerdings haben solche Modelle ihre Grenzen: Unter andrem dort, wo Ärzte mit ihrer Expertise, ihrer Erfahrung und ihren fünf Sinnen mit Patienten in Kontakt treten müssen.

Umdenken in der Gesundheitspolitik erforderlich

E-Health kann nur dann sinnvoll zum Wohle der Patienten eingesetzt werden, wenn eine Ärztin oder ein Arzt maßgeblich eingebunden ist. Wo immer möglich und sinnvoll, sollten das niedergelassene Ärzte sein, damit können die überforderten und vergleichsweise teuren Spitäler entlastet werden. Allerdings brauchen wir dafür geeignete berufliche Rahmenbedingungen, ausreichend Zeit und entsprechende Verrechnungspositionen – hier ist ein Umdenken in der Gesundheitspolitik erforderlich.

E-Health-Anwendungen nicht zur Gewinnmaximierung einsetzen

Mit Sorge beobachten wir Bestrebungen, E-Health-Anwendungen im großen Maßstab zur betriebswirtschaftlichen Gewinnmaximierung einzusetzen, um sich zum Beispiel die Ausgaben für ärztliche Expertise zu ersparen: Das ginge massiv auf Kosten der Versorgungsqualität und Patientensicherheit. Digitalisierung muss den Arzt-Patient-Prozess unterstützen und optimieren, darf ihn aber niemals ersetzen. Eine „Medizin ohne Ärzte“ kann nicht funktionieren.

Die Digitalisierung wird das Gesundheitssystem im Allgemeinen und die Rolle und das Berufsbild des Arztes im Besonderen tiefgreifend verändern. Wir werden diese Entwicklungen sehr genau verfolgen, um den Fortschritt mitzugestalten: damit es kein Fortschritt auf Kosten von Patienten und Ärzten ist.