Landmedizin in der Krise: Unsere Lösungsansätze

Die Zukunft der landmedizinischen Versorgung ist zu wichtig, um sie tagespolitischem Taktieren zu überlassen. Auf unserer Veranstaltung „Landmedizin in der Krise“ haben Experten aus Deutschland und der Schweiz darüber berichtet, wie in diesen Ländern Landmedizin gezielt gefördert wird. Vielleicht kann die österreichische Politik von diesen Erfahrungen etwas lernen: Wir müssen ja nicht unbedingt alle gesundheitspolitischen Fehler erst einmal selbst begehen, um klüger zu werden.

Die Perspektive vieler ländlicher Regionen bietet wenig Anlass zu Optimismus. In den nächsten zehn Jahren wird mehr als jeder Zweite der derzeit rund 1.800 niedergelassenen Landärzte in Pension gehen. Ob sich Nachfolger in ausreichender Zahl finden, ist aufgrund enormer Arbeitsbelastung und inadäquater Honorierung dieser Leistungen fraglich. Dieses Krisenszenario wird sich, wenn wir nichts unternehmen, absehbar und zuverlässig verschärfen. Die Diagnose, etwas überspitzt gesagt: Wir riskieren, dass es in Zukunft Landärzte wie den „Bergdoktor“ hauptsächlich als historisches Relikt in TV-Serien gibt. Und dass die Menschen in der rauen Realität auf dem Land ohne Ärzte leben müssen.
Und wenn ältere Patienten, weil es keinen Hausarzt in ihrer Umgebung gibt, mit beträchtlichem Aufwand zu einer Spitalsambulanz fahren müssen, oder mangels ausreichend engmaschiger landärztlicher Betreuung sogar stationär aufgenommen werden müssen, dann ist das nicht nur eine Zumutung, sondern auch gesundheitsökonomisch problematisch: Spitäler sind teuer, sie zu entlasten bedeutet, intelligent zu sparen. Dafür muss allerdings der niedergelassene Bereich entsprechend ausgebaut werden. Und zwar nicht mit „Versorgungszentren“, von denen derzeit manche österreichischen Gesundheitspolitiker und -verwalter phantasieren. Sie wollen allen Ernstes Arztpraxen auflösen und die Ärzte – gemeinsam mit Vertretern anderer Gesundheitsberufe – in solchen Zentren konzentrieren. Das wäre in ländlichen Gebieten ein besonders krasser Versorgungs-Irrwitz, weil der Zugang zu medizinischen Leistungen damit zusätzlich erschwert würde. Im Gegenteil: Der Landarzt ist sehr oft „best point of service“ und gehört gestärkt.
Mit der Umsetzung folgender Maßnahmen könnte das „Landarzt-Sterben“ gestoppt werden.
1. Flexiblere Arbeitsbedingungen und Zusammenarbeitsformen für Ärzte auf dem Land
Wir brauchen eine Vielfalt von Zusammenarbeitsformen für Ärzte auf dem Land, um die Arbeit für Ärzte attraktiver und noch patientenfreundlicher zu machen. Wesentliche Bestandteile landärztlicher Arbeitsmodelle sind die Anstellung von Ärzten bei Ärzten, Gruppenpraxen, Teamarbeit in Hausarzt-Praxen, das Schaffen von Praxis-Netzwerken, Timesharing-Praxen, neue Bereitschaftsdienst-Modelle und geeignete Formen der Vertretung. Flexible Formen der ärztlichen Zusammenarbeit sollen auch geregeltere Arbeitszeiten und damit eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf erlauben.
Zur Entlastung von Landärzten beitragen sollten außerdem weniger Bürokratie, Dokumentation, Bewilligungen und Administration.
2. Reform des Honorarsystems
Um die Tätigkeit als Landarzt attraktiv zu machen und den Rahmen für eine optimale Patientenbetreuung zu schaffen, bedarf es eines leistungsgerechten Honorarsystems. Die längere Arbeitszeit der Landärzte muss durch zusätzliche Kassen-Honorare abgegolten werden – was derzeit nicht der Fall ist. Zu einem leistungsgerechten Honorarsystem gehören auch ein Landarztzuschlag sowie die Aufhebung der Limitierungen und Degressionen, also der Schlechter-Honorierung ärztlicher Leistungen nach dem Erreichen einer bestimmten Leistungsmenge.
3. Stärkung und Ausbau der Haus- und Vertrauensarzt-zentrierten Primärversorgung im Rahmen von Gesamtverträgen
Die Stärkung der Haus- und Vertrauensarzt-zentrierte Primärversorgung, in der die Möglichkeiten und Ressourcen gut ausgebildeter Gesundheits- und Sozialberufe unter medizinischer Koordination und Verantwortung zur Verfügung stehen, ist eine wichtige Voraussetzung für eine Absicherung der landmedizinischen Versorgung.
4. Optimale Vorbereitung auf die landärztliche Tätigkeit: Verpflichtende einjährige Lehrpraxis
Die Grundlage für die Motivation junger Mediziner für eine Landarzt-Tätigkeit wird in der Ausbildung gelegt. Die Tätigkeit als niedergelassener Arzt kann nur in den Ordinationen erlernt werden, da sie nur dort stattfindet. Erforderlich ist deshalb eine verbesserte allgemeinmedizinischen Ausbildung und eine verpflichtende, einjährige, öffentlich finanzierte Lehrpraxis.
5. Beseitigung rechtlicher Hürden für Hausapotheken
Eine gute medizinische Versorgung ist nur durch Landärzte mit einer Hausapotheke gesichert, nicht durch öffentliche Apotheken alleine. Landärzte sollten das zeitlich unbegrenzte, uneingeschränkte Recht auf das Führen einer Hausapotheke haben. Gemäß einer Entschließung des Nationalrates soll bis 2015 eine langfristige und tragfähige Regelung der Medikamentenversorgung im ländlichen Raum geschaffen werden. Die Ärztekammer plädiert hier für die Beseitigung rechtlicher Hürden für Hausapotheken und für das „Duale System“: Ärzte und öffentliche Apotheken sollen beide die Arzneimittel abgeben können – im Sinne der Bürger. Niemand braucht rechtliche Beschränkungen, die nur auf Kosten der Versorgung gehen.
Fazit
Das Nachwuchsproblem in der Landmedizin muss im Interesse einer guten Versorgung der Menschen auf dem Land unbedingt gelöst werden. Wenn in diesem Bereich nichts passiert, droht bereits in naher Zukunft eine massive medizinische Versorgungskrise. Das wäre ein medizinisch, ethisch und gesundheitspolitisch inakzeptabler Zustand. Geeignete Vorschläge und Modelle dafür gibt es. Am Zug ist jetzt die Gesundheitspolitik.