Neue Studie zu Darmkrebs-Screening: Große gesundheitliche Vorteile und enormes Sparpotenzial

In der modernen Medizin zählen Vorsorge-Screenings und systematische Untersuchungs- und Früherkennungsprogramme zu den besonders wichtigen Fortschritten Doch leider sind wir hier mit einer Reihe von gesundheitspolitischen Baustellen konfrontiert. Wir Ärzte gewinnen häufig den Eindruck, dass in der Gesundheitspolitik solche Programme als lästiger Kostenfaktor gesehen werden.

Die Ärztekammer hat deshalb anlässlich des „Darmkrebsmonat März 2016“ eine Studie in Auftrag („Agnes Streissler – Wirtschaftspolitische Projektberatung“) gegeben, die den potenziellen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Nutzen eines Österreich-weiten Dickdarmkrebs-Screening-Programms beziffert. Basis dafür ist das in Vorarlberg sehr erfolgreich seit 2007 durchgeführte Darmkrebs-Vorsorgeprogramm, und ich habe heute gemeinsam mit Dr. Michael Jonas, dem Präsident der Ärztekammer für Vorarlberg, in Wien eine Pressekonferenz zu diesem Thema abgehalten.

Neue Studie errechnet Gesamtkosten und Einsparungs-Potenziale bei Dickdarm-Krebs

In der neuen Studie werden auf Basis der Ergebnisse aus Vorarlberg zwei Szenarien verglichen und auf ganz Österreich angewendet: Die Kostenentwicklung unter der Annahme, es gäbe kein Darmkrebsvorsorge-Programm, und die Gesamtkosten bei einem existierenden Vorsorgekoloskopie-Programm, bei dem jedes Jahr drei Prozent der Über-50-jährigen erfasst wird. Analysiert wurden nicht nur die direkten Auswirkungen einer Therapie, also die Kosten medizinischen Interventionen. Sondern auch indirekte gesamtwirtschaftliche bzw. gesellschaftliche Kosten: Zum Beispiel Produktivitätsausfälle anhand von Krankheit oder vorzeitigen Todesfällen („Humankapitalansatz“), die Belastung für Angehörige sowie die Einschränkung der Lebensqualität der Betroffenen. Die ebenfalls erfolgte Berücksichtigung ökonomisch bewerteter Lebensjahre, eine heute übliche Berechnungsmethode, wird als Zahlungsbereitschaftsansatz bezeichnet.

Einige Ergebnisse:

  • Ein Österreich-weites Koloskopie-Programm würde bereits nach zehn Jahren die jährliche Krankheitsläufigkeit um fast 1.600 Patienten mit der Diagnose von Darmkrebs in einem fortgeschrittenen Stadium verringern.
  •    Nach zehn Jahren würden zwischen 2.800 und 5.000 Frühpensionierungen in Folge von Darmkrebs verhindert worden sein.
  •    Im zehnten Jahr belaufen sich die Kosten der Koloskopie selbst auf 33 Millionen Euro. Dies unter Zugrundelegung eines betriebswirtschaftlich kalkulierten Tarifs inklusive der Kosten für allfällige Komplikationen und Qualitätssicherung. Die Gesundheitskosten von im Zuge der Koloskopie entdeckten Diagnosen sowie von Diagnosen in den Jahren nach der Koloskopie betragen weitere 25 Millionen. Im Vergleich dazu betragen die Gesundheits- und Pflegekosten der nicht-koloskopierten Vergleichsgruppe im zehnten Jahr 157 Millionen Euro, also um 98 Millionen Euro mehr pro Jahr.
  • Betrachtet man die Gruppe der 50- bis 65-Jährigen, so entstehen durch Darmkrebserkrankungen bei der koloskopierten Zielgruppe jährliche Verluste des Erwerbspotenzials von 14 Millionen Euro. Bei der nicht-koloskopierten Vergleichsgruppe wären es 79 Millionen Euro.

Einsparungspotenzial von 3 bis 4,5 Milliarden Euro in zehn Jahren

Zusammengefasst beträgt der volkswirtschaftliche Nutzen eines Koloskopie-Programms nach zehn Jahren, berechnet nach dem Humankapitalansatz, 736 Millionen bis 1,3 Milliarden Euro, davon 36 Prozent Einsparung im Gesundheitsbereich, das sind 265 bis 468 Millionen Euro. Berechnet nach dem Zahlungsbereitschaftsansatz, der auch ökonomisch bewertete Lebensjahre berücksichtigt liege das Einsparungspotenzial bei 3 bis 4,5 Milliarden Euro, davon 27 Prozent Einsparung im Gesundheitsbereich, das sind 810 Millionen bis 1,2 Milliarden Euro.

Diese sensationellen medizinischen und volkswirtschaftlichen Ergebnisse zeigen, wie dringend notwendig es ist, ein Darmkrebs-Screening Österreich-weit zu implementieren.

Aber auch andere notorische Baustellen der Vorsorge- und Früherkennungs-Medizin müssen endlich und zügig saniert werden.

Mutter-Kind-Pass: Mehrjährige Nicht-Implementierung aktueller Erkenntnisse inakzeptabel

Einer dieser Sanierungsfälle ist die Zukunft des Mutter-Kind-Passes. Dieser wurde 1974 unter ärztlicher Begleitung eingeführt und hat sich sehr gut bewährt. Aus unerfindlichen Gründen ließ das Gesundheitsministerium die Mutter-Kind-Pass-Kommission des Obersten Sanitätsrates (OSR) Ende 2010 auslaufen und beauftragte das Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment mit einer Evaluation des Mutter-Kind-Passes. Das Ergebnis ist eine „Facharbeitsgruppe für Weiterentwicklung des Mutter-Kind-Passes“, in der die teilnehmenden Ärzte auch bei Themen, die wissenschaftliche Spezialexpertise erfordern, jederzeit von medizinischen Laien überstimmt werden können. Die Arbeitsgruppe ist außerdem ein auf mehrere Jahre angelegter Prozess, während dem keine Entscheidungen zum Mutter-Kind-Pass vorgesehen sind. Rechnet man die Zeit seit dem Auslaufen der Kommission im OSR Ende 2010 dazu, so kann das eine langjährige Nicht-Implementierung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis des MuKi-Passes bedeuten. Das ist aus ärztlicher Sicht nicht zu verantworten.

Brustkrebs-Screening: Programm muss dringend optimiert werden

Ein weiterer Sanierungsfall ist das Brustkrebs-Screening. Die Anfang 2014 eingeführten Regelungen zur Brustkrebs-Vorsorge-Mammografie haben, auch durch eine veränderte Einladungspolitik, zu einem hochproblematischen und für viele Frauen potenziell gefährlichen Einbruch bei den Vorsorgemammografie-Zahlen geführt. Punktuell waren Rückgänge von etwa 40 Prozent zu verzeichnen, insgesamt hat sich durch das Programm die Zahl der Mammographien pro Jahr um 15 Prozent reduziert Das bringt mit sich, dass Brustkrebs-Erkrankungen unbemerkt bleiben. Die Ärztekammer hat sich deshalb immer wieder warnend zu Wort gemeldet. Auf sinnvolle Anpassungen warten wir allerdings vergeblich, weil die Gesundheitspolitik nun einmal zunehmend Einsparungs-orientiert handelt, und nicht im Sinne der bestmöglichen Patienten-Versorgung. Die Zwischenbilanz lautet, dass das Brustkrebs-Screening von einem Vorsorgeprogramm zu einem Kostensenkungsprogramm zurechtmanipuliert wurde. Weil sich die Erwartungen nicht erfüllt haben, muss das Programm dringend optimiert werden, damit Frauen keinen Schaden nehmen.

Vertrauen auf neue Hauptverband-Führung

Die Ärztekammer vertraut auf die neue Vorsitzende des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, Mag. Rabmer-Koller: Wir werden ihr unsere Vorstellungen zu einer Ausweitung des Darmkrebs-Vorsorge-Screenings und zu einer Verbesserung anderer Früherkennungs-Programme sehr gerne präsentieren und hoffen, dabei auf Verständnis zu stoßen.