Sind wir Ärzte korrumpierbar und ahnungslos und verschreiben ständig die falschen Medikamente?

Ein Wiener Spitalsarzt hat vor einigen Tagen ein Buch auf den Markt gebracht, in dem der Nachweis erbracht werden soll, „wie uns die Pillen-Konzerne manipulieren“. Ich will dieses Buch im Detail nicht beurteilen und weiß, dass sehr viele der darin beschriebenen angeblichen oder wirklichen Missstände längst überholt sind. Ich bin außerdem davon überzeugt, dass die Ärzteschaft vor enormen Herausforderungen steht – Stichwörter sind hier das geplante PHC-Gesetz mit seinen hochproblematischen Auswirkungen oder die Zumutung Mystery-Shopping – die meines Erachtens mehr Aufmerksamkeit verdienen als „Die Pharma-Falle“, in der wir angeblich stecken. Allerdings fand das Buch in Medienberichten und Talk-Shows eine recht starke mediale Resonanz, was auch zu einer gewissen Verunsicherung bei manchen Kollegen und Patienten sowie zu einer Reihe von Fragen an mich als Arzt und Standesvertreter geführt hat. Deshalb habe ich mich doch dafür entschieden, in meinem Blog auf das Buch einzugehen.

Tatsächlich beinhaltet oder impliziert das Buch Unterstellungen, die man so nicht stehen lassen kann. Der Autor berichte von der angeblichen Korrumpierbarkeit von Key-Opinion-Leader unter den Ärzten, und legt nahe, dass Kolleginnen und Kollegen bei der Verschreibung von Medikamenten über weite Strecken nicht wissen, was sie da eigentlich tun. Das liest sich dann zum Beispiel so: „Mehr als zwei Drittel der österreichischen Ärzte stehen unter dem Einfluss der Pharmaindustrie und sind Manipulationen ausgesetzt.“ Oder:  „Zwei Drittel der verschriebenen Medikamente schaden mehr als sie nutzen und falsche Medikamente gehören zu den häufigsten Todesursachen.“ In einer Tageszeitung wird der Buchautor so zitiert: „Hauptproblem unseres Gesundheitssystems sind Gier und Geld. Das gefährdet jedoch Patienten.“

So kann beim uninformierten Betrachter der – vollkommen realitätsferne – Eindruck entstehen, eine große Mehrheit ahnungsloser oder falsch informierter Ärzte folge den Vorgaben einer bestochenen Minderheit. Diese Schlussfolgerung, die keinerlei sachliche Basis hat, wäre fatal und kann bei vielen Patienten zu Verunsicherung und Vertrauensverlust führen. Und das völlig zu Unrecht: Denn tatsächlich gibt es wohl kaum eine besser aus- und weitergebildete Berufsgruppe als die Ärzte. Und Medikamente, auch das ist zu betonen, müssen sich in aufwändigen klinischen Studien bewähren, bevor sie zugelassen werden.

Der Buchautor ist nicht nur Arzt, sondern auch Standesvertreter. In beiden Positionen sollte er ein besonders korrektes Vorgehen und eine besonders saubere Argumentation wählen, wenn es um derart sensible Themen wie angebliche Bestechung, Inkompetenz und die Verschreibung ungeeigneter, aber gefährliche Medikamente geht. Wenn dem Autor also konkrete Vorkommnisse bekannt sind, die den ethischen Standards der Ärztekammer oder gesetzlichen Vorgaben widersprechen, so möge er diese anzeigen.

Sein unverhältnismäßiger Rundumschlag und der implizite Generalverdacht, den er über die Medien verbreitet, legt allerdings nahe, dass es ihm primär um Selbstprofilierung geht – und sei es auf Kosten seiner Kolleginnen und Kollegen.