Gefährliche Spekulationen über Wahlarzt-Abschaffung

Dass gesundheitspolitische Ignoranz und sozialpolitischer Leichtsinn mühelos unter einen Hut zu bringen sind, zeigt ein heute bekannt gewordener Vorschlag eines Vertreters jener Partei, die seit Längerem den Gesundheitsminister bzw. die Gesundheitsministerin stellt. Nachdem man von SPÖ-Parteichef Mag. Christian Kern lange Zeit kaum etwas zum Thema Gesundheitsversorgung gehört hat, durchbricht der Gesundheitssprecher der SPÖ jetzt diese gesundheitspolitische Abstinenz ausgerechnet mit dem Vorschlag, das Wahlarztsystem abzuschaffen. Als gelte es, der Demontage des über lange Zeit sehr bewährten und auch von sozialen Grundsätzen getragenen österreichischen Gesundheitssystems möglichst entschlossen zusätzliche beschleunigende Impulse zu geben.

Eigentlich hinterlässt es einen ja beinahe fassungslos: Da verschläft die Gesundheitspolitik das Anfang 2015 in Kraft getretene Ärztearbeitszeitgesetz und verursacht mangels entsprechend kompetenter Vorbereitungen zum Teil sehr massive Leistungsrückgänge in Krankenhäusern – ganz besonders in den Ambulanzen. Dass Patienten in den niedergelassenen Bereich ausweichen, wird dadurch erschwert bis verhindert, dass dieser seit Langem konsequent ausgehungert wurde: Stichwörter sind hier die massiven Rückgänge bei den Zahlen der Kassenpraxen, Deckelungen und Degressionen, etc. Parallel dazu wurden die Kassenverträge zunehmend unattraktiv und bürokratische Belastungen und schikanöse Kontrollen derart unzumutbar, dass – ganz anders als früher, als man sich noch um einen Kassenvertrag gerissen hat – das Interesse am Beruf des Kassenarztes immer mehr ausbleibt: Derzeit sind in Österreich rund 70 Kassenpraxen unbesetzt, weil sich keine Interessenten dafür finden.

Bleibt also für Patientinnen und Patienten, die sich das leisten können, die Alternative Wahlarzt. Entsprechend hat sich dieses Versorgungssegment, ohne das die österreichische Gesundheitsversorgung längst kollabiert wäre, in den vergangenen Jahren entwickelt. Gab es 2006 in Österreich noch 7.017 Wahlärztinnen und Wahlärzte, sind es heute bereits 10.346 und damit um fast 50 Prozent mehr. Ohne Wahlärztinnen und Wahlärzte ginge heute gar nichts mehr.

Wie muss es also um den Realitätssinn eine Gesundheitspolitik bestellt sein, die – offenbar allen Ernstes – das Wahlarztsystem abschaffen möchte? Welcher politische Todestrieb muss einen hohen Repräsentanten einer sich als sozial bezeichnenden Partei befallen haben, der nicht nur ein bewährtes Versorgungselement abschaffen möchte, sondern sozial schlechter Gestellte vor die Alternative stellt: Entweder oft unzumutbar lange Wartezeiten als Folge von zurückgefahrenen Spitalsleistungen und immer weniger Kassenärzten, oder ein Besuch in einer Privatordination ohne jede Refundierung durch die Kassen.

Der Vorschlag des SPÖ-Gesundheitssprechers verprellt – und das muss ihm einmal jemand nachmachen – nicht nur Besserverdienende, die künftig für einen Arztbesuch bei einem Nicht-Kassenarzt mehr bezahlen müssten als bisher. Sondern gleichzeitig und in besonders hohem Maße auch Einkommens-schwache Bevölkerungskreise, die zumindest früher einmal treue SPÖ-Wähler waren, und es zum Teil noch sind. Außerdem ist die Milchmädchenrechnung, dass sich durch ein Abschaffen der Wahlärzte das Kassen- und Gesundheitssystem sanieren ließe, abwegig: Die Kassen refundieren für Wahlarzt-Leistungen bekanntlich nur einen definierten Anteil des Kassentarifs, und nicht der tatsächlichen Honorare. Kassenärzten, von denen es nach den Vorstellungen des SPÖ-Gesundheitssprechers dann mehr geben sollte, müssten sie 100 Prozent der Kassentarife bezahlen. Oder spekuliert der SPÖ-Gesundheitssprecher damit, dass möglichst viele Patienten ganz ohne Kassenunterstützung zu Privatärzten gehen und damit das Budget der Kassen gar nicht belasten?

Auf einen Schlag die Gesundheitsversorgung im niedergelassenen Ärztebereich drastisch und nachhaltig zu verschlechtern und gleichzeitig breite Bevölkerungsschichten gegen sich aufzubringen, das sucht Seinesgleichen.

Ich möchte mich ja nicht in die Belange einer Koalitionspartei einmischen: Aber will diese Partei eigentlich noch gewählt werden?