Die letzten Tage waren für mich persönlich sehr herausfordernd. In Anbetracht einer politischen Situation, in der menschliche und soziale Themen kaum mehr zu positionieren sind, da entweder ökonomische oder ideologische Strömungen die Politik dominieren, ist es entscheidend, mit seinen Anliegen das mediale Interesse zu erwecken. Dass das oft nur mit einem gewissen Maß an Zuspitzung geht, ist vollkommen klar.
„Du kämpfst mit Krebs. Dein Arzt kämpft mit bürokratischen Hürden der Krankenkasse“ – mit diesem Text macht die Wiener Ärztekammer derzeit auf einen inakzeptablen Missstand aufmerksam. Es gibt leider noch immer gewaltige bürokratische Hürden, die eine optimale Behandlung auch von Krebspatienten verhindern. Aufgestellt wurden sie von den Kassen, die entgegen medizinischer Notwendigkeiten handeln und sich auf nicht eingängige Formalstandpunkte zurückziehen.
Für das Plakat gab es viele Entwürfe. Das gewählte Sujet wurde deshalb ausgewählt, weil es emotionalisieren sollte. Gewollt waren zwei Effekte: Die Menschen sollten auch in Wahlkampfzeiten für die extremen Herausforderungen, vor denen unser Gesundheitssystem steht, sensibilisiert werden. Das ist gelungen, denn wir haben viele Reaktionen erhalten, die der Kammer danken, dass wir Versorgungsmissstände konsequent aufzeigen. Daneben wollten wir natürlich jene Technokraten treffen, die am liebsten über den Versorgungsnotstand schweigen. Die Aufregung von dieser Seite war auch beabsichtigt.
Nicht beabsichtigt war allerdings, dass das Sujet auch manche Krebspatienten negativ berührt hat. Ich stehe nicht an, mich bei diesen Menschen zu entschuldigen, wenn sie das Gefühl bekommen haben, ihr unglaubliches Leid würde auf eine Stufe mit bürokratischen Hürden gestellt. Das war natürlich nie der Schluss, den wir mit unserer Aufmerksamkeits-Kampagne erreichen wollten.
Uns geht es vielmehr darum, ganz konkrete Probleme anzusprechen. Hier ein paar Beispiele:
- In Wien wurde (übrigens zum Unterschied zu den anderen Bundesländern) die Chefarztpflicht für CT und MRT von der WGKK wiedereingeführt.
- Es fehlen die von der Ärztekammer seit Jahren geforderten Kassenverträge für Onkologen, Nuklearmediziner und Strahlentherapeuten.
- Für Krebspatienten außerordentlich nützliche, die Beschwerden lindernde Medikamente werden durch die Vorgaben der Sozialversicherungen Patienten nur sehr restriktiv und erst nach chefärztlicher Bewilligung erstattet.
- Von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten hören wir häufig Klagen, dass die bewilligungspflichtige Heilnahrung („Astronautennahrung“), wie sie zum Beispiel Krebspatienten häufig benötigen, von den Kassen nur restriktiv bewilligt wird.
Ärztinnen und Ärzte wollen Krebspatienten bestmöglich helfen, ohne dabei durch bürokratische Barrieren behindert zu werden. Eben darauf möchten wir mit unserer, diesmal bewusst realitätsnah gestalteten Kampagne hinweisen.
Wir bewegen uns nun einmal in einem politischen Umfeld, noch dazu wo die Nerven in einem hochemotionalen Wahlkampffinish blank liegen. So konnte gerade das teils gespielte Entsetzen von Vertretern der Sozialversicherungen und der Patientenanwälte nicht ausbleiben. Sie fordern medientauglich einen sofortigen Kampagnenstopp, stellen sich aber sonst bei jeder Gelegenheit schützend vor die Unzulänglichkeiten des Systems. Bei allem Respekt, aber die gekünstelte Aufgeregtheit der Repräsentanten von Institutionen, die die von der Ärztekammer kritisierten Missstände letztlich herbeigeführt haben, bzw. diese Missstände nicht angeprangert haben, ist aus meiner Sicht scheinheilig und politisch motiviert.
All dem steht aber eben gegenüber, dass uns eine Vielzahl positiver Reaktionen von Krebspatienten und Ärzten erreichen, die uns in unseren Intentionen bestätigen. Der durchgängige Tenor dieser Rückmeldungen ist, dass es exakt die in unserer Aktion kritisierten Versorgungsdefizite sind, die Krebspatienten das Leben unnötig schwer machen, weil sie nicht unkompliziert zu Diagnosen und Therapien kommen. Und die uns Ärzte dazu zwingen, unseren Patienten die bittere Nachricht mitteilen zu müssen, dass sie benötigte Behandlungen nicht bekommen können, weil der Chefarzt sie nicht bewilligt.
Ich kenne die Tragik mit der gerade Krebspatienten und ihre Angehörigen konfrontiert sind, aus meinem engsten persönlichen Umfeld. Ich habe gesehen, wie ein mir nahestehender Mensch mit dieser Situation konfrontiert wurde und übrigens nur deshalb rechtzeitig ein Erkennen der Krebserkrankung möglich war, weil außerhalb der Sozialversicherung eine selbst bezahlte Vorsorgeuntersuchung durchgeführt wurde. Ich habe im Anschluss sowohl den Schmerz, als auch die Beschwerden einer solchen Therapie hautnah miterlebt. Erst dann habe ich gesehen, wieviel da eigentlich in unserem System schiefläuft.
Ich bleibe deshalb bei meiner Überzeugung, dass Hürden auf dem Weg zur bestmöglichen Behandlung onkologischer Patienten beiseite geräumt werden müssen. Ich hoffe sehr, dass unsere Kampagne dazu beiträgt.