Gegen „Psychiatrie light“

Eines soll hier gleich von Beginn an klargestellt sein: Die ÖÄK begrüßt die Neuregelung der psychotherapeutischen Ausbildung im Rahmen einer universitären Ausbildung. Es liegt jetzt aber ein Gesetzesentwurf vor, der bis 8. Februar 2024 in Begutachtung war, der eine völlig verkehrte Herangehensweise zeigt, die weder den Patientinnen und Patienten, noch der Forschung, noch dem System als solchem etwas bringt – im Gegenteil drohen Versorgungsmängel und eine deutliche Verteuerung des Systems.

Eines der Kernprobleme ist die geplante künstliche Abtrennung der Psychotherapie von der psychosomatischen Medizin und der Psychiatrie. Das widerspricht dem internationalen Stand der Wissenschaft, wonach Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie geeint werden sollten und jeder Bereich vom anderen lernen soll. Um ein komplettes Berufsbild zu schaffen, trennt man in vielen Paragraphen künstlich zwischen Psychiatrie und Psychotherapie und schafft durch viel zu üppige Kompetenzen eine Art „Psychiatrie light“. Das ist weltweit einmalig und auch insbesondere erstaunlich, da die weltberühmtesten Psychotherapierichtungen von Wiener Ärzten kamen, wie Sigmund Freud, Alfred Adler und Viktor Frankl. Aber all diese internationalen Koryphäen hätten als Psychiater nach dem Gesetzesentwurf keine Lehrpraxisverantwortlichen für die Psychotherapieausbildung sein können, weil man eben willkürlich die Psychotherapie von der Psychiatrie und der Psychosomatik abtrennen will. Und zwar absurderweise mit einem metaphorischen Stacheldraht, damit es ja keine Berührungspunkte gibt.

Aktuell ist der Stand wie folgt: Die Versorgung mit qualifizierter Psychotherapie erfolgt nicht nur durch Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, sondern auch durch Ärztinnen und Ärzte mit psychotherapeutisch-medizinischer Qualifikation. Das sind einerseits Psychiaterinnen und Psychiater, Kinderpsychiaterinnen und Kinderpsychiater sowie die Ärztinnen und Ärzte mit Spezialisierung in fachspezifischer psychosomatischer Medizin. Dazu kommen noch die Ärztinnen und Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen, die im Rahmen der Weiterbildung die ÖÄK-Diplome PSY 1 bis 3 erworben haben. Diese diagnostizieren, behandeln und betreuen bereits jetzt ihre Patientinnen und Patienten entsprechend ihrer jeweiligen Qualifikation nicht nur somatisch, sondern auch psychosomatisch und psychotherapeutisch. Das ist natürlich sinnvoll, weil die Mehrzahl an Krankheiten ja nicht nur körperliche, sondern auch emotionale Komponenten haben. Ebenso haben sich die bereits bestehenden Gemeinsamkeiten bei Aus-, Fort- und Weiterbildung bewährt und führen erfahrungsgemäß zu deutlicher Qualitätsverbesserung und gegenseitigen Weiterentwicklungsideen. All das wird im vorliegenden Entwurf ignoriert und stattdessen – weltweit einmalig, und das aus gutem Grund einmalig – ein komplettes Parallelsystem zur Medizin und Psychiatrie geschaffen, mit eigenem Prüfungssystem ohne Ärzte, einer Aus-, Fort- und Weiterbildung ohne Ärzte und eigene Fachgesellschaften. Das ist nicht nur realitätsfern, sondern auch gefährlich und ineffizient.

Forderungen

Die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Fachrichtungen und der breite Zugang zur Psychotherapieausbildung müssen unbedingt gewahrt bleiben. Daher lauten unsere Kernforderungen, die wir ­– neben anderen Punkten – auch in der Stellungnahme zum Gesetzestext bereits dem Ministerium übermittelt wurden:

  • Ein abgeschlossenes Medizinstudium ist dem Abschluss des ersten AusbiIdungsabschnittes gleichzusetzen.
  • Fachärztinnen und Fachärzte für Psychiatrie und Kinderpsychiatrie, sowie die Ärztinnen und Ärzte mit entsprechender Spezialisierung beziehungsweise mit PSY 3-Diplom müssen den Berufsangehörigen der Psychotherapie gleichgestellt werden und auf Antrag ohne Prüfung in die Berufsliste aufgenommen werden.
  • Die Ordinationen bzw. Gruppenpraxen dieser Ärztinnen und Ärzte sind psychotherapeutischen Lehrpraxen gleichzustellen.
  • Wissenschaftliche Fachgesellschaften für Psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin (Psy-Diplome) vermitteln Qualifikationen, die sowohl qualitativ als auch quantitativ dem wissenschaftIich-theoretisch fundierten psychotherapeutischen Zugang der Psychotherapiewissenschaften entsprechen. Diese Fachgesellschaften sind daher als gleichwertig einzustufen.
  • Es muss klargestellt werden, dass hinsichtlich der Ausübung des psychotherapeutischen Berufs grundsätzlich immer nur die psychotherapeutische Behandlung gemeint ist. Diese ist aus unserer Sicht immer durch eine Ärztin bzw einen Arzt anzuordnen.
  • Es muss auch klargestellt sein, dass Psychotherapie und die von Psychotherapeutinnen und -therapeuten angewandten Therapien nur dort eingesetzt werden dürfen, wo es ausreichend Evidenz gibt.
  • Die ÖÄK muss – weiterhin – im Psychotherapiebeirat sowie im Gremium für BerufsangeIegenheiten mit je einer Vertreterin bzw. einem Vertreter für den extra- und dem intramuralen Versorgungsbereich sowie einer Vertreterin bzw. einem Vertreter der PSY 3-Diplome vertreten sein.
  • Aus Gründen der Qualitätssicherung und der Patientensicherheit ist es aus Sicht der ÖÄK unbedingt erforderlich, dass für die praktische Ausbildung im 3. Abschnitt eine Pflicht zur Ausbildung im psychiatrisch klinischen Setting ­– auch das muss klargestellt werden – im zumindest doppelt so großen Umfang als im Gesetz vorgesehen verankert wird.