Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz bringt zeitraubende Extra-Bürokratie, teure Absicherungsmedizin, unklare Situationen und Misstrauen im Arzt-Patient-Verhältnis

Gegenwärtig befindet sich ein Entwurf zum Sozialbetrugsbekämpfungs-Gesetz der Bundesregierung in Begutachtung, der aus Ärztesicht hochproblematisch ist. Er setzt auf eine Ausweitung des staatlichen Bespitzelungswesens und einen bürokratischen Mehraufwand, obwohl Ärzte schon jetzt zu den am stärksten kontrollierten Berufsgruppen gehören. Er sieht unter anderem „Mystery-Shopper“ mit gefälschter E-Card und eine verschärfte Identitätsfeststellung von Patienten mittels Ausweisleistung vor. Bei Verstößen riskieren Ärzte die Kündigung ihres Kassenvertrages. Zu Ende gedacht haben die Urheber des Gesetzesentwurfes dessen praktische Konsequenzen offensichtlich nicht. Das Gesetz soll Sozialmissbrauch vorbeugen und zur Gegenfinanzierung der geplante „Steuerreform“ beitragen. Es soll also nicht nur das „Bankgeheimnis“ fallen, der Staat setzt auch auf konsequente Bespitzelung in den Arztpraxen. Patienten und Ärzte werden unter den Generalverdacht des potenziellen Sozialbetrugs gestellt. Sozialbetrug ist klar und eindeutig abzulehnen. Aber es sollte der Ärzteschaft nicht auch noch die Pflicht umgehängt werden, Sozialbetrug zu verhindern.

Sozialversicherungen müssen jetzt Versicherte und Ärzte kontrollieren

Nach dem Gesetzesentwurf obliegt den Versicherungsträgern nicht nur die Kontrolle der Versicherten im Krankheitsfall, sondern auch der Ärzte mit Kassenvertrag. Kassen können zwar schon jetzt kontrollieren, allerdings wären sie künftig jedoch gesetzlich dazu „verpflichtet, die gesetzes- und vertragskonforme Vorgehensweise der Vertragspartner/-innen zu überprüfen“.

Krankenkassen beschäftigen also entsprechend geschulte Prüforgane, auch als Mystery Shopper bezeichnet, deren Aufgabe es ist, Ärzte auszuspionieren und ihnen ein Fehlverhalten nachzuweisen. Sie melden zum Beispiel ihren Auftraggebern, dass in einer Arztpraxis ihre Identität nicht mittels Ausweisleistung festgestellt wurde. Oder ein Kassen-Spitzel erwirkt eine Krankschreibung, vielleicht indem er eine Krankheit vortäuscht, und meldet das der Kasse. Und damit das alles besser funktioniert, können Mystery Shopper von den Sozialversicherern mit einer so genannten Scheinidentität mit dazu passender, speziell ausgestellter E-Card ausgestattet werden – einer offiziell gefälschten, sozusagen.

Mutwillige Täuschungen können im Extremfall einen Arzt um seine Existenzgrundlage bringen.

So viel zu einem partnerschaftlichen Umgang zwischen Krankenkassen und Vertragsärzten.

Frontalangriff auf ein vertrauensvolles Arzt-Patient-Verhältnis

Die im Gesetzesentwurf vorgesehenen Maßnahmen würden auch das im Arzt-Patienten-Verhältnis so wichtige Vertrauen auf eine harte Probe stellen. Wenn ein Arzt nicht sicher sein kann, dass ein Patient kein Mystery-Shopper ist, wird er sich aus naheliegenden Gründen bestmöglich absichern. Patienten werden also im Zweifelsfall zur weiteren Abklärung eines Diagnoseverdachts weitergeschickt werden, damit der niedergelassene Arzt rechtlich „auf der sicheren Seite“ ist. Das bedeutet für Patienten längere Wartezeiten, einen bürokratischen Mehraufwand, eventuell auch absichernde Zusatzuntersuchungen und eine Verzögerung eines Therapiebeginns.

Zu befürchten ist jedenfalls ein Frontalangriff auf ein vertrauensvolles Arzt-Patient-Verhältnis, der die Situation in den Arztpraxen nachhaltig verschlechtert.

Massives Plus an Bürokratie für Kassenärzte

Ein zweiter zentraler Punkt des Gesetzesentwurfs betrifft die Pflicht zur Identitätsüberprüfung. Während bisher beim niedergelassenen Arzt eine Identitätsprüfung „im Zweifelsfall“ ausreichte, soll diese künftig bereits erfolgen, wenn der Patient dem behandelnden Arzt „nicht persönlich bekannt ist“. Das ist eine deutliche Verschärfung, die einen hohen zusätzlichen administrativen Aufwand mit sich bringt. Werden bei jährlich 130 Millionen E-Card-Konsultationen bei nur jedem 10. Patienten Ausweiskontrollen durchgeführt, und dauert eine Kontrolle im Durchschnitt 10 Sekunden, so summiert sich das auf zusätzlich 36.000 Stunden oder  4.500 Arbeitstage, für die Österreichs niedergelassene Ärzte aufkommen müssen.

Wird im Übrigen „wiederholt eine gesetz- oder vertragswidrige Vorgehensweise bei der Identitätsfeststellung“ festgestellt, so liegt unter Umständen bereits ein Grund für eine Kündigung des Kassenvertrages mit dem Arzt vor.

Aber auch Spitalsambulanzen werden verpflichtet, die Identität eines Patienten zu überprüfen. Bisher mussten sie das nur „bei Zweifeln an der Identität des Patienten“ tun, jetzt „jedenfalls mittels Ausweiskontrolle“. Auch hier wird bei mehr als 17 Millionen Ambulanzkontakten pro Jahr der zusätzliche Aufwand beträchtlich sein.

Neue Unsicherheiten für niedergelassene Kassenärzte

Durch die Pflicht zur Identitätsfeststellung in Arztpraxen können allerdings in vielen Fällen für Ärzte und Patienten neue Probleme entstehen: Geht es nach dem Gesetzesentwurf, müssten wohl persönlich nicht bekannten Patienten ohne Ausweis ärztliche Leistungen auf E-Card verwehrt werden. Werden diese Patienten dann einfach weggeschickt? Müssen sie den Arztbesuch privat zahlen? Werden sie im Zweifelsfall an andere Stellen weitergeschickt?

Das wirft medizinische, ethische und haftungsrechtliche Fragen auf. Es bedarf eindeutiger Regelungen, die bewährte Prinzipien einer sozialen Medizin nicht aushebeln. Auch hier kann man gespannt sein, wie der Gesetzgeber das letztendlich festlegen wird.

Fragwürdiges Aufwand-Nutzen-Verhältnis

Auch das Aufwand-Nutzen-Verhältnis der geplanten Vorhaben der Regierung ist klärungsbedürftig. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass Sozialversicherungen verpflichtet werden, eigene Abteilungen zur Betrugsbekämpfung zu installieren, was hohe Kosten mit sich bringt. Erfahrungen zeigen allerdings, dass hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird: Die Sozialversicherung hat zum Beispiel zwischen 2008 und 2013 – bei rund 8 Millionen aktiven E-Cards – nach eigenen Angaben 421 Fälle mit Verdacht auf E-Card-Missbrauch durch Versicherte untersucht. Dabei ist es in 7 Fällen zu Verurteilungen gekommen. Der entstandene Schaden betrug insgesamt 101.000 Euro. Ein sinnvolles Aufwand-Nutzen-Verhältnis sieht anders aus.

Selbst die Gesundheitsministerin räumte am 21. Mai in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage ein: „Die Missbrauchsfälle stellen keine erhebliche Belastung der Krankenversicherungsträger dar und haben für die Finanzlage der Versicherungsträger keine reale Bedeutung.“

Wofür also brauchen wir das neue Gesetz mit all seinen Zumutungen für Ärzte und Patienten?